Seite - 155 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Unklare Mobilisierungsplakate | 155
weise (bald) ausbrechenden „Serbienkriegs“ hervor. Auch das Tagblatt hob hervor,
dass die Einberufung des Landsturms „besonders lebhaft besprochen“ wurde.92
Die Einberufung des Landsturms irritierte und verunsicherte sehr viele Menschen,
zumal sie einen derartigen Schritt nicht erwartet hatten und weil so ziemlich jeder
wehrfähige Mann dem Landsturm zuzurechnen war.93 Jeder einzelne wehrfähige
Staatsbürger zwischen dem 19. und dem vollendeten 42. Lebensjahr zählte letzt-
endlich zum Landsturm, sofern er nicht dem Heer, der Marine, den (beiden)
Landwehren oder der Ersatzreserve angehörte.94 In den Zeitungen stand unauf-
hörlich: „Wer im Zweifel ist, ob er einrücken muß, muß sich sofort heute darüber
bei der Behörde Klarheit verschaffen.“95 Schnell wurden die Folgen der Einberu-
fung des Landsturms für das eigene Berufs- und Privatleben abgewogen. Diesem
aufgezwungenen Abschätzen der weiteren Konsequenzen einer Einberufung stell-
ten sich nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen. Das teilweise zweispra-
chig gehaltene Mobilisierungsplakat lieferte unverkennbar den letzten Beleg für
den unaufhörlich im ersten Kriegsjahr artikulierten Ernst der Lage. Hervorgerufen
wurde dies unter anderem mit dem unmissverständlichen Schlusssatz der Plakate:
„Die Nichtbefolgung dieser Anordnung wird nach den bestehenden Gesetzen
strenge bestraft.“ Dessen waren sich auch die Redaktionen bewusst, weswegen sie
von nun an pausenlos und ohne Gegenstimmen vom Ernst der Lage sprachen
(„des großen Ernstes der Situation“, „ernsten Zeit“, „ernsten Tagen“, „hochernsten
Zeit“, „in schwerer Zeit“, „ernste Zeit“).96 Auch das vereinzelt in der bürgerlichen
Presse abgedruckte und von Leopold
IV. Schuster (Fürstbischof von Seckau) gegen
Ende Juli in Umlauf gebrachte Hirtenschreiben begann mit dem Satz: „Eine ernste
Zeit ist über Österreich hereingebrochen.“97 Das (gemeinsame) Lesen und Vorle-
92 Der Sonntag, in: Grazer Tagblatt, 27.7.1914, 4.
93 Der k. k. Landsturm ist nicht mit der k. k. Landwehr ident.
94 Vgl. den Lexikonartikel „Streitkräfte (Österreich-Ungarn)“ von Manfried Rauchensteiner in:
Hirschfeld/Krumeich/Renz (22014), 896–900, 897.
95 Zur Einberufung des Landsturmes, in: Arbeiterwille, 27.7.1914, 1.
96 Die Zitate stammen aus: Die Grazer Humoristen in des Kaisers Rock, in: Grazer Volksblatt,
1.8.1914, 3 [Vgl. parallel: Die Grazer Humoristen in des Kaisers Rock, in: Kleine Zeitung,
2.8.1914, 8]; Eine Mahnung an die Arbeiter in der ernsten Zeit, in: Arbeiterwille, 5.8.1914, 2;
Krieg und Mode, in: Grazer Volksblatt, 8.8.1914, 4; Kriegshilfe für das Kleingewerbe, in: Grazer
Tagblatt, 16.10.1914 (2. Morgenausgabe), 5; Die Wiederherstellung der Gemeindeautonomie?,
in: Grazer Mittags-Zeitung, 9.10.1914, 3; Bauerndank, in: Sonntagsbote, 9.8.1914, 1.
97 Se. Exzellenz Fürstbischof Dr. Leopold Schuster über den Krieg, in: Grazer Volksblatt, 2.8.1914, 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453