Seite - 195 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Abschiedsszenen | 195
nervenerregende Verkehrstätigkeit“310 am Bahnhof. Wenngleich dies eigentlich
keiner Erwähnung bedarf, muss doch hinzugefügt werden, dass die bürgerliche
Presse auch hier wieder von der „Spontanität“ der Empfangszeremonien sprach.
Das irritiert ein wenig, zumal die Zeitungen die (ungefähren) Ankunftszeiten der
Soldatenzüge vorabdruckten.311 Zudem erschienen extra kleinere offizielle Emp-
fangskomitees inklusive einer Blaskapelle am Bahnhof, um die Einberufenen zu
begrüßen. Schlussendlich waren seit Ende Juli immer viele Menschen am Bahn-
hof, um die (bevorstehende) Verwundetenobsorge und den Verpflegungsdienst
aufzubauen: Das Grazer Frauenhilfskomitee312, das Silberne Kreuz313, die Sanitär-
Hygienische-Hilfsabteilung (S. H. H.)314 sowie die Pfadfinder und der Wandervo-
gel.315 Das Verabschieden der in die Züge steigenden Soldaten und Frauen stellte
einen äußerst intimen Moment dar. Im Grunde genommen bedeutete das (sehr
langsame316) Abfahren der Züge, unabhängig davon, ob sie nun an die (entste-
hende) Front oder an die Etappe fuhren, dass es nun kein Zurück mehr gab.317 Das
310 Am Bahnhofe, in: Grazer Volksblatt, 28.7.1914, 5. Mit ähnlichen Worten kommentierten auch
die anderen Zeitungen die Lage, vgl. Das Bild am Bahnhof, in: Arbeiterwille, 27.7.1914 (Abend-
ausgabe), 2; Der gestrige Tag, in: Tagespost, 28.7.1914, [ohne Seitenangabe]; Rekrutentransporte,
in: Grazer Mittags-Zeitung, 27.8.1914, 3.
311 Vgl. z.
B. Die Ankunft der Kärntner Reservisten, in: Grazer Tagblatt, 31.7.1914 (Abendausgabe), 3.
312 Das Grazer Frauenhilfskomitee (oder der „Steiermärkische Frauenhilfsausschuß“) war ein Zu-
sammenschluss mehrerer Frauenvereine, siehe das Kapitel: Grazer Frauenhilfskomitee.
313 Die k. k. Gesellschaft vom Österreichischen „Silbernen Kreuze“ wandte sich der Fürsorge für die
heimkehrenden Soldaten bzw. die Kriegsinvaliden zu, siehe das Kapitel: Diebstahl und Betrug.
314 Die S. H. H. verfolgte u. a. die „Epidemien-Prävention“ (zeitgenössisch: „Seuchenbekämpfung“)
in der Steiermark. Sie wurde von den Ärzten Wilhelm Prausnitz und Theodor Pfeiffer – beide
Professoren der Universität Graz – unmittelbar nach Kriegsbeginn institutionalisiert und von
Studierenden getragen. Ein kompakter Artikel hierzu: Sanitätshygienische Hilfsabteilung
(S. H. H.) für Steiermark, in: Arbeiterwille, 18.9.1914 (Abendausgabe), 3. Ein Abriss über das
Grazer Institut für Hygiene und über die S.H.H. in: Höflechner (22009), 59, 73, 84, 374 f.; Thon-
hofer (2011).
315 Zum Aufbau der Verwundetenobsorge und des Verpflegungsdiensts vgl. allein: Der Abschied der
einberufenen Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr und Rettungsabteilung, in: Grazer Tagblatt,
27.7.1914 (Abendausgabe), 4; Die Militärküchen am Bahnhofe, in: Grazer Volksblatt, 31.7.1914
(Abendausgabe), 3; Die Verwundetenkolonne vom Roten Kreuz, in: Kleine Zeitung, 7.8.1914, 6;
Freiwillige Trägerdienste, in: Grazer Volksblatt, 20.8.1914, 4; Gold gab ich für Eisen, in: Grazer
Mittags-Zeitung, 25.8.1914, 3; Vorkehrungen für die Verwundeten am Grazer Hauptbahnhof, in:
Grazer Volksblatt, 1.9.1914, 4; Sanitätshygienische Hilfsabteilung (S. H. H.) für Steiermark, in:
Arbeiterwille, 18.9.1914 (Abendausgabe), 3.
316 Die Züge fuhren aufgrund der Kriegsfahrordnung mit rund 25 km/h, vgl. Schmied-Kowarzik
(2016), 523.
317 Siehe z.
B. jene Fotografie, auf der man eine trist wirkende Soldatengruppe am Bahnhof sieht, in:
Brunner (2003), 242.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453