Seite - 265 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Arbeitslosigkeit | 265
kehrt ist. [...] Es kann auch nicht bestritten werden, daß sich der natürliche Egoismus
der Landwirte gerade in der Kriegszeit häufig mehr als unangenehm fühlbar macht.“54
Kehrt man zurück zur Arbeitslosigkeit zu Kriegsbeginn, so verringerte sich diese
im Grazer Raum spürbar durch die seit 17.
August laufende Hopfenernte. Sie bean-
spruchte Hunderte Frauen und Kinder.55 In der entsprechenden Stellenausschrei-
bung des Grazer Arbeitsvermittlungamts hieß es: „400 Hopfenpflückerinnen, Re-
servistenfrauen, Mädchen und Kinder über 12 Jahren finden [...] sofort Arbeit.“56
Bei den anderen Branchen waren die Vermittlungserfolge teilweise rückläufig,
teilweise blieben sie gleich. Zudem verzeichnete das Arbeitsvermittlungsamt bei
den Lehrjungen einen Rückgang an Vermittlungen.57 Als Ursache nannte das Amt
die Tatsache, dass viele Meister einrücken mussten, weswegen diese keine neuen
Lehrlinge aufnehmen konnten. Außerdem wurden viele Lehrjungen entlassen. Bei
den weiblichen Lehrlingen erzielte das Amt jedoch ungefähr die gleichen Vermitt-
lungserfolge wie die Jahre zuvor. Dagegen erwies sich die Vermittlung der Dienst-
mädchen als besonders schwierig: „Durch den Ausbruch des Krieges waren viele
Familien gezwungen, sich bedeutend einzuschränken, was daraus zu entnehmen
ist, daß viele städtische Dienstmädchen entlassen wurden, da in zahlreichen Fällen
wegen Einrückung des Haushaltsvorstandes die Frauen zu Angehörigen übersie-
delten und den Haushalt für die Dauer des Krieges auflösten.“58 Die Arbeitsbedin-
gungen der steirischen Dienstmädchen kamen auch in der sozialdemokratischen
Arbeiterinnen-Zeitung (Wien) zur Sprache:
„Am allerschlechtesten sind aber heute noch die Dienstmädchen daran. Sie wurden
gleich im Anfang massenhaft entlassen, selbst von Damen, die den Haushalt noch in
demselben Maßstab führten als vor dem Krieg. ‚Jetzt ist Krieg, ich muss mich einschrän-
ken, ich muß dem Roten Kreuz spenden‘, sagten viele, die Stubenmädchen und Köchin
hatten, und entließen das Stubenmädchen, im anderen Falle die Bedienerin. Die Arbeit
musste eben auf die Zurückbleibenden aufgeteilt werden. Andere Damen reduzierten
54 Stadt und Land, in: Arbeiterwille, 29.6.1916, 1, 2.
55 Ich beziehe mich hier auf folgende Zeitschrift: Der Arbeitsnachweis. Zeitschrift für Arbeitslosig-
keit, Arbeitsvermittlung, Auswanderung und innere Kolonisation. Organ des Reichsverbandes
der allgemeinen Arbeitsvermittlungsanstalten Österreichs der Österr. Vereinigung zur Bekämp-
fung der Arbeitslosigkeit (1914), 459.
56 Steiermärkische Arbeitsvermittlung, in: Arbeiterwille, 23.8.1914, 11.
57 Bericht über die Tätigkeit der steierm. Arbeitsvermittlungsämter und des unentgeltlichen Woh-
nungsnachweises in Graz im Jahre 1914 (1915), 10.
58 Ebd., 8.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453