Seite - 270 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen270
ner Teil der Grazer Bevölkerung den Andrang ausmachte. Die Presse ließ jedoch
jenen Menschen, die „größere“ Geldsummen abhoben, enorme Aufmerksamkeit
zukommen, da der Andrang in ihren Augen eine Bedrohung für die Aufrechter-
haltung von „Ruhe und Ordnung“ darstellte. Schließlich konnten die Redaktionen
nicht abschätzen, wie lange der Andrang ungefähr dauern würde. Seit den „stür-
mischen Einlagenrückforderungen“90 betonte die Presse daher täglich die Sicher-
heit der Spareinlagen. Außerdem versuchte sie Gerüchte und Spekulationen über
eine bevorstehende Geldentwertung zu zerstreuen. Zudem kritisierte sie diejeni-
gen, die derartige Gerüchte verbreiteten, scharf. Dass das Spekulieren nicht völlig
unbegründet war, erkennt man daran, dass die Österreichisch-Ungarische Bank91
zu Kriegsbeginn Metallgeld einzog, Papiergeld vermehrt ausgab, den Bankzinsfuß
anhob und die Währungsdeckung (Währungsbindung) durch Gold sukzessive re-
duzierte und schlussendlich zur Gänze aufhob.92 Die Zeitungen berichteten von
diesen finanzpolitischen Schritten des Staats.93
Die Schlagzeilen der Sicherheitsgarantien, die die Grazer Presse vorrangig zwi-
schen 25. Juli und 6. August produzierte, umfassten rhetorische Fragen, wie „Sind
die Raiffeisenkassen sicher?“ oder „Sind die Sparkassen sicher?“.94 Außerdem
finden sich Beruhigungsappelle, wie ,,Keine Angst!“ oder Beschwichtigungsversu-
che, wie „Beruhigung der Sparer“.95 Ferner schlugen sich finanzielle Ängste und
Sorgen in der Briefkastenrubrik nieder. Die Fragen drehten sich hauptsächlich
um die Steuerpflicht, die Unterstützungskonditionen, die Inflation sowie um die
Sicherheit der Geldinstitute. Selten stellte man Fragen bezüglich der Wertpapiere.
Im August antwortete beispielsweise das Volksblatt in ihrem „Briefkasten“ kurzat-
mig: „Verkaufen sie die Papiere nicht. Es ist noch nichts verloren.“96 Im Oktober
antwortete das Tagblatt in seiner Rubrik „Briefkasten der Schriftleitung“ knapp:
„Besorgter Wertpapierebesitzer. Wir glauben, daß die Sorge völlig überflüssig
ist.“97 Im „Briefkasten der Redaktion“ des Arbeiterwillens lautete die Antwort
einmal: „Selbstverständlich bezieht sich das Moratorium auch auf solche Schul-
90 Mahnung an die Spareinleger, in: Arbeiterwille, 30.7.1914 (Abendausgabe), 2.
91 Gewissermaßen der Vorläufer der Österreichischen Nationalbank.
92 Ich stütze mich hier auf: Höck (2014), 205–209; Sandgruber (1995), 327–330; Moll (1998/99),
vereinzelt auch auf: Baltzarek (1973).
93 Vgl. z. B. Erhöhung des Bankzinsfußes, in: Arbeiterwille, 27.7.1914, 3.
94 Siehe exemplarisch: Sind die Raiffeisenkassen sicher?, in: Grazer Volksblatt, 26.7.1914, 5. Vgl.
parallel: Sind die Raiffeisenkassen sicher?, in: Kleine Zeitung, 27.7.1914, 6.
95 Keine Angst!, in: Grazer Tagblatt, 28.7.1914, 4; Beruhigung der Sparer, in: Grazer Volksblatt,
30.7.1914, 2.
96 Briefkasten, in: Grazer Volksblatt, 7.8.1914, 7.
97 Briefkasten der Schriftleitung, in: Grazer Tagblatt, 6.10.1914 (2. Morgenausgabe), 7.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453