Seite - 280 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen280
brauchen die Soldaten, so die einzelnen Stellungnahmen, kein Geld. Dem Verord-
nungsblatt der Statthalterei lässt sich entnehmen, dass die Geldbriefe vorwiegend
vom einkommensschwächeren Milieu abgeschickt wurden, da es meistens um Be-
träge von 1 oder 2 Kronen ging.163 Abseits dieser (unverderblichen) Geldbriefe kri-
tisierte die Presse diejenigen Feldpostpakete, in denen sich (verbotenerweise) Le-
bensmittel, Alkohol und entzündliche Gegenstände, wie Zündhölzer, befanden:
„Obwohl die Bevölkerung [... mehrmals] und eindringlich aufmerksam gemacht
wurde, daß in Feldpostpakten keine Eßwaren verschickt werden dürfen, sind in
der letzten Zeit wieder Feldpostsendungen mit Eßwaren in ungemein großer Zahl
zur Aufgabe gebracht worden.“164 Daran zeigt sich deutlich, dass man das Erfüllen
eigener Interessen (sprich die Sorge um einen nahestehenden Soldaten) als wichti-
ger als die Observanz staatlicher Vorgaben einstufte. Denn ansonsten hätten nicht
so viele Menschen das – unter Strafe stehende – Verbot des Versendens von ver-
derblichem Essen, Alkohol und Streichhölzern übertreten.165 Dort, wo die Zeitun-
gen an das Zündhölzer-Verbot erinnerten, wiesen sie teilweise darauf hin, dass es
bereits zu Zugbränden gekommen war. Anfang Oktober 1914 brannte in Gratwein
nahe Graz der Postbeiwagen eines Personenzugs ab. Gründe hierfür wurden zwar
nicht genannt, aber es stand fest, dass „ein großer Teil der eingelagerten Postsen-
dungen“ verbrannte.166 Die Postsendungen umfassten Lebensmittel und Wintersa-
chen, die hauptsächlich für das 26. Infanterieregiment bestimmt waren.167 Die
Zugbrände168 führten den Menschen vor Augen, dass nicht alles, was an die Front
geschickt wurde, dort tatsächlich ankam. Nur wenige Tage nach dem Zugunglück
in Gratwein kam es zu einem noch verheerenderen Güterzugunglück. In der Bahn-
station von Peggau entgleisten fast 30 Waggons eines Güterzugs, die „teilweise mit
Militärgut“ beladen waren.169 Die Zeitungen kritisierten mehrmals den Umstand,
dass Frauen und Männer kleinere Esswaren, wie Schokolade oder Kekse, in die
163 Geldsendungen an Mannschaftspersonen der Armee im Felde, Erlass der Statthalterei vom
9.9.1914, in: Verordnungsblatt der k. k. steiermärkischen Statthalterei (16.9.1914), 320. Zusätz-
lich dazu: Unnötige Geldsendungen an die Mannschaftspersonen im Felde, in: Grazer Tagblatt,
4.9.1914 (Abendausgabe), 2; Ueberflüssige Geldsendungen an die Mannschaft, in: Grazer Mit-
tags-Zeitung, 7.9.1914, 3.
164 Feldpostsendungen mit Eßwaren, in: Grazer Mittags-Zeitung, 14.11.1914, 3.
165 Vgl. z. B. Verbot des Einschlusses entzündlicher Gegenstände in Feldpostsendungen, in: Arbei-
terwille, 9.8.1916, 6.
166 Brand eines Postpaketwagens, in: Grazer Tagblatt, 9.10.1914, 3.
167 Zum Brande des Postpaketwagens in Gratwein, in: Grazer Tagblatt, 9.10.1914 (Abendausgabe), 3.
168 Vgl. z. B. Die Brandunfälle bei Feldpostsendungen, in: Grazer Mittags-Zeitung, 4.12.1915, 3.
169 Eisenbahnunfall. Neunundzwanzig Waggons in der Station Peggau entgleist und zertrümmert,
in: Grazer Volksblatt, 19.10.1914 (12-Uhr-Ausgabe), 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453