Seite - 291 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Hamsterkäufe | 291
gab, zu den Hamsterkäufen. Die Vehemenz der Hamsterkäufe erschließt sich auch
aus einer Presseaussendung des Allgemeinen Spar- und Konsumvereins: „Unsere
Warenbestände sind ziemlich geräumt.“236 Die Verwaltung dieser Konsumgenos-
senschaft erboste sich bereits zuvor darüber, dass viele nicht vereinsregistrierte
Personen (illegitim) im preiswerten Konsumverein einkaufen wollten.237 Ebenso
zeigte sie sich über jene Vereinsmitglieder verärgert, die für Nicht-Vereinsmit-
glieder einkaufen gingen: „Wer die Vorteile der Genossenschaft genießen will, soll
auch die Pflichten übernehmen und Vereinsmitglied werden.“238 Darüber hinaus
war die Verwaltung von jenen Vereinsmitgliedern enttäuscht, die zwar „jahrelang
nicht“ nicht den Konsumverein durch Einkäufe und Mitgliedsbeiträge unterstützt
hätten, nun aber in Zeiten des Kriegs und der Not „mit großem Nachdruck Waren
verlangten.“239 Die Art und Weise, wie die Verwaltung über Teile ihrer Kundschaft
sprach, verdeutlicht exemplarisch eine weit verbreitete Umgangsform im Grazer
Kriegsalltag. Diese Umgangsform scheute nicht vor harscher Kritik, wenn es um
Fragen bezüglich des „richtigen“ Zusammenlebens im Grazer „Feldlager“ ging.
Eine Folge des Andrangs auf den Konsumverein war, dass man oft nur mehr unter
Vorzeigen des Mitgliedsbuches/der Legitimationskarte im Konsumverein einkau-
fen konnte (Es sei denn, man war dem Verkaufspersonal bekannt). Im Übrigen
behielt der Verein die strikte Barzahlung in seinen Läden bei. Zusätzlich dazu er-
hielten die Vereinsmitglieder nur mehr in Ausnahmefällen einen Kredit. Eine Vo-
raussetzung hierfür war, dass man das Mitgliedsbuch beim Verein hinterlegte.240
Außerdem sollte man nur in jenen Verkaufsstellen einkaufen, in denen man nor-
malerweise einkaufte. Jedoch blieb das „Von-Geschäft-zu-Geschäft-Gehen“ weder
auf die Konsumvereine noch auf den Kriegsbeginn beschränkt. Anfang Jänner
1915 verlautbarte die Statthalterei:
„Amtlich wird mitgeteilt: Es wurde der Statthalterei mitgeteilt, daß Hausfrauen, insbe-
sondere solche der besseren Kreise, sich vielfach übermäßige Vorräte an Mehl anschaf-
fen, die ihren Bedarf auf lange Zeit hinaus weitaus überschreiten. Da für die Abgabe
von Mehl im Kleinhandel an unmittelbare Verbraucher eine Höchstmenge von drei
Kilogramm festgesetzt ist, gehen sie oft von Kaufmann zu Kaufmann, um bei jedem
kleinere Mengen zu kaufen, und sich auf diese Weise einen größeren Vorrat zu schaffen.
Dieses Vorgehen, das an sich wenig vaterländisches Empfinden erkennen läßt, entbehrt
236 Die Maßnahmen des Grazer Konsumvereins, in: Arbeiterwille, 1.8.1914, 3.
237 Ebd.
238 Der Grazer Konsumverein an seine Mitglieder, in: Arbeiterwille, 15.8.1914, 8.
239 Ansturm auf die Geschäfte des Grazer Konsumvereines, in: Arbeiterwille, 29.7.1914, 3.
240 Der Grazer Konsumverein an seine Mitglieder, in: Arbeiterwille, 15.8.1914, 8.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453