Seite - 297 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Hamsterkäufe | 297
der Schuh- und Lederfabrik Franz Rieckh’s Söhne, am 5. Dezember 1914 Anzeige
gegen eine für den gleichen Tag im sozialdemokratischen „Volksheim“ (Strau-
chergasse) angesetzte Veranstaltung.267 Die Grazer Polizei-Direktion Graz ging
der Anzeige nach und lud Josef Zotter, den Initiator der Versammlung, vor. Dabei
kam heraus, dass Zotter für den gleichen Tag eine weitere Veranstaltung angesetzt
hatte, die in einem Grazer Gasthaus stattfinden sollte. Auf den beiden Veranstal-
tungen hätte man nach Zotters Angabe über die Missstände in der besagten Hee-
resrüstungsanstalt geredet. Zusätzlich dazu wäre eine Petition geplant gewesen, in
der man die Fabrikleitung kritisiert hätte und die man an das Kriegsministerium
geschickt hätte. Die Versammlungen mussten letztendlich abgesagt werden. Als
Begründung führte die Behörde das am 26. Juli 1914 erfolgte Versammlungsver-
bot an. Angeprangert wurden auch jene Geschäfte, die sich in den Zeitungen un-
rechtmäßig als Heereslieferanten ausgaben. Das k. k. Handelsministerium nahm
beispielsweise wahr, „daß sich einzelne Personen und Firmen vielfach unter re-
klameartigem Hinweis auf angebliche Beziehungen zur Heeresverwaltung in Zei-
tungsannoncen und Zirkularien den Geschäftsleuten zur Vermittlung von Hee-
reslieferungen oder zur Angabe von Stellen, bei denen verschiedene Arbeiten zu
vergeben wären, mitunter auch zur Weitervergebung der angeblich von der Hee-
resverwaltung erhaltenen Lieferungsaufträge anbieten.“268
Abseits einiger Heeresrüstungsanstalten erweckten diejenigen Bäckereien,
die laut Presse trotz gleichbleibender Preise ihre Weißgebäcksorten verkleiner-
ten, Ärger, Missmut und Unverständnis in der Bevölkerung.269 Die regelmäßigen
Beanstandungen und Beschuldigungen blieben nicht auf einige Grazer Betriebe
beschränkt, sondern sie trafen jedwede „unpatriotische“ Bäckerei der Monar-
chie (z. B. die Bäckereien in Knittelfeld).270 Zusätzlich dazu standen die Getrei-
demühlen in Kritik, zumal man ihnen vorwarf, dass sie ihre Mahlprodukte zu
teuer verkaufen würden.271 Aufgrund der Anschuldigung, dass die Bäckereien in
Zusammenarbeit mit den Mühlen schlechtere Qualität zu höheren Preisen an-
267 Die Bemerkungen zu Karl Rieckh fußen, sofern nicht anders ausgewiesen, auf: Neck (1964),
12–13.
268 Unreelles Gebaren in Bezug auf Heereslieferungen, Erlass der Statthalterei vom 11.11.1914,
in: Verordnungsblatt der k. k. steiermärkischen Statthalterei (18.11.1914), 339. Siehe z. B. eine
Mitteilung der Statthalterei in: Gegen unlauteren Wettbewerb, in: Grazer Tagblatt, 13.11.1914
(2. Morgenausgabe), 3.
269 Ein zentraler Artikel hierzu ist: Gegen die Verkleinerung des Weißgebäcks, in: Arbeiterwille,
2.8.1914, 4. Vgl. parallel: Zu kleines Weißgebäck, in: Grazer Tagblatt, 2.8.1914, 5; Allzu kleines
Weißgebäck, in: Grazer Volksblatt, 2.8.1914, 6.
270 Kriegshyänen, in: Arbeiterwille, 9.10.1914, 3; Knittelfeld, in: Arbeiterwille, 18.10.1914, 10.
271 Nützen die Maximaltarife für Lebensmittel?, in: Arbeiterwille, 5.9.1914, 1.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453