Seite - 332 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen332
eins Sokol vorläufig in Verwahrung genommen.434 Ebenso wurde der Vereinsturn-
saal, den sich der slowenische Sokol mit dem böhmischen Sokol in der Unger-
gasse teilte, „geschlossen und amtlich versiegelt“.435 Da sämtliche Funktionäre des
böhmischen Sokol zur Kriegsdienstleistung eingerückt waren, wurde dem Bericht
zufolge das Sistierungsdekret auf die Turnsaaltür affichiert. Vom serbischen Turn-
verein waren dagegen sämtliche Funktionäre abgereist. Zudem akzentuierte der
Polizei-Direktor, „dass es sich nunmehr nach Sistierung der vorerwähnten Vereine
vielleicht empfehlen dürfte, mit der gleichen Massregel [sic] auch gegen die uni-
onistischen Vereine ‚Hrvatska‘, ‚Srbadja‘ und ‚Tabor‘ vorzugehen.“436 Wenige Tage
später wurden auch diese drei Vereine von den Behörden geschlossen. Weitere
Verfügungen hinsichtlich der drei Vereine blieben dem Bericht zufolge aber aus,
da „sämtliche Funktionäre […] von Graz abgereist, beziehungsweise zur Kriegs-
dienstleistung eingerückt“ waren.437 Letztendlich herrschte über den „slawischen“
Vereinen in Graz während des Kriegs Grabesstille.438 Im Gegensatz zu den vielfach
thematisierten Neubedingungen des bürgerlichen und sozialdemokratischen Ver-
einswesens kommentierte die Grazer Presse die „antislawischen“ Vereinssistierun-
gen nur am Rande. Zumeist handelte es sich hierbei um Vereinssistierungen oder
Hausdurchsuchungen außerhalb von Graz.439 Die Verschärfung des steirischen
Nationalitätenkonflikts verunmöglichte die Herausbildung eines gemeinsamen
„Landesbewusstseins“440 und bremste die täglich zu formierende Einheitsbildung
massiv, sodass diese bereits in ihren Anfängen brüchig war. Erkennbar ist dies
nicht nur an den zahlreichen Verbaldelikten von „Serbenfreunden“, an den Ver-
haftungen, Hausdurchsuchungen und Einvernahmen (Verhören), sondern auch
an den Ausschreitungen.
434 Vgl. dazu auch: Murlasits (2005), 63.
435 Polizei-Direktion Graz an Statthalterei-Präsidium, 13.8.1914, in: StLA, Statt. Präs. E92c/444/1906
(1. Teil).
436 Polizei-Direktion Graz an Statthalterei-Präsidium, 24.7.1914, in: StLA, Statt. Präs. E92c/444/1906
(1. Teil).
437 Polizei-Direktion Graz an Statthalterei-Präsidium, 25.8.1914, in: StLA, Statt. Präs. E92c/444/1906
(1. Teil).
438 Promitzer/Petrowitsch (1997), 200.
439 Cilli. (Hausdurchsuchungen.), in: Grazer Volksblatt, 14.8.1914, 5.
440 Moll (2007a), 24.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453