Seite - 334 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen334
mal das Risiko, selbst in den Strudel der jeweiligen Auseinandersetzung zu geraten,
äußerst hoch war. Die Schlägereien und/oder Stichwaffenattacken endeten meis-
tens mit Verhaftungen. In diesen Fällen wurden die festgenommenen Personen
auf die nächstgelegene Wache gebracht. Das Abführen wurde dabei von Männern
und Frauen begleitet, die oft so lange vor der Wache warteten, bis sie den Ausgang
der Amtshandlung erfuhren. Die Presse führte ein ganzes Bündel an Gründen an,
warum man letztendlich zusammengeschlagen werden konnte. Einige Menschen
wurden (ungeplant und unangekündigt) verprügelt, weil sie zuvor auf der Straße
oder in einem Gast- oder Kaffeehaus ein Verbaldelikt begangen hatten (z. B. „Gott
gebe unseren Brüdern, den Serben, den Sieg“444). Andere wiederum weigerten
sich, ein „patriotisches“ Lied mitzusingen oder bei der Kaiserhymne aufzustehen.
Das wurde von einigen Personen als Affront aufgefasst, den es als solchen sofort
und gewaltsam zu ahnden galt.445 Obendrein wurden Menschen von Zivilpersonen
und Soldaten zusammengeschlagen, weil sie als Spione oder „Serbenfreunde“ gal-
ten. Andere gerieten in einen handgreiflichen Streit mit der Sicherheitswache, als
diese die Einhaltung der Sperrstunden kontrollierte. Wieder andere stritten sich
mit dem Wirt oder der Wirtin, als es um das Zahlen der Rechnung ging:
„Wie der Polizeibericht mitteilt, verübte gestern abends ein Gefreiter in einer Speisehalle
im 5. Bezirk wegen Begleichung der Zeche arge Ausschreitungen, bedrohte das Perso-
nal, [... sodass es] aus dem Lokale flüchten mußte. Als er von einem herbeigerufenen
Wachmann aufgefordert wurde, das Lokal zu verlassen, leistete er nicht nur keine Folge,
sondern setzte sein exzessives Benehmen fort, zog gegen den Wachmann sein Bajonett
und drang auf diesen ein, [... sodass] der Wachmann gezwungen war, seinen Säbel zu
ziehen. Zwei als Gäste anwesende Zugsführer und Infanteristen [...], welche aufgefordert
wurden, auf den Gefreiten beschwichtigend einzuwirken, ergriffen für diesen Partei und
nahmen ebenfalls gegen die Wache Stellung. Als schließlich der Gefreite auf die Straße
gedrängt wurde, kam eine Militärpatrouille, die den Exzedenten der Hauptwache über-
stellte. Der Exzeß rief ein großes Aufsehen hervor und hatte eine größere Menschenan-
sammlung zur Folge.“446
444 Vom Landwehrgericht, in: Grazer Tagblatt, 21.11.1914 (2. Morgenausgabe), 7.
445 Ein interessanter Ehrenbeleidigungsprozeß, in: Grazer Mittags-Zeitung, 27.1.1915, 4. Ein weite-
rer Fall findet sich in: Marburg. (Kleine Ursachen – große Wirkung.), in: Arbeiterwille, 4.8.1914,
5. Zum Hintergrund: Moll (2007a), 454–458.
446 Exzeß, in: Grazer Mittags-Zeitung, 2.12.1914, 4.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453