Seite - 336 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen336
Zeitung für ihre Pflicht erachtet [...], gegen solche Exzesse, die mit Patriotismus
wahrlich nichts zu tun haben, aufzutreten und die Bevölkerung von einer Lynch-
justiz zu warnen, die nicht bloß Schuldige, sondern sogar Unschuldige trifft!“454
Sollten die „Exzesse“ weitergehen, wäre dem Arbeiterwillen zufolge „selbst der ru-
higste Staatsbürger seines Lebens nicht [mehr] sicher, denn jeder kann irgendei-
nem ‚verdächtig‘ vorkommen!“455 Der Arbeiterwille setzte hier seine energische
Kritik an dem aus seiner Sicht falsch gelebten „Patriotismus“ fort, die er bereits
Anfang Juli mehrmals gegen die antiserbischen Ausschreitungen am „Balkan“, al-
len voran in Sarajevo, äußerte. Während die bürgerliche Presse zur Gänze das Be-
gehen eines Verbaldelikts mit der Gesinnung einer Person gleichsetzte, führte der
Arbeiterwille gelegentlich die Verbaldelikte auf den Alkoholkonsum zurück. Kaum
ein anderer Artikel hat diese Meinung so prägnant in Worte gefasst wie der Artikel
„Der Alkohol – Serbienhochrufer!“ vom 4. August: „In den letzten Tagen wurde
eine große Zahl von Männern geprügelt und verhaftet, weil sie, und zwar in den
meisten Fällen in alkoholisiertem Zustande, ‚Hoch Serbien!‘ riefen.“456 Weiter hieß
es im Text: „Wiederholt wurde die Wahrnehmung gemacht, daß die Betreffenden
kurz vorher ‚Hoch Österreich!‘ riefen und sich dann in den fortwährenden Ausru-
fen versprachen und ‚Hoch Serbien!‘ riefen.“ Daher – so die Mahnung: „Hütet
euch vor dem Alkohol!“457 Ob dies nun in einigen oder wie es der Arbeiterwille
kolportierte in vielen Fällen so zutraf, lässt sich nicht bestimmen. Artikel, in denen
darüber berichtet wurde, dass Steirerinnen und Steirer wegen ihres „Alkoholdusel[s]
zum Serbenfreund“ wurden, finden sich jedoch des Öfteren.458 Aufgrund des da-
maligen „übermäßigen Alkoholgenusses und seiner Folgeerscheinungen“459 ver-
legte der Grazer Stadtrat die einzelnen Sperrstunden des Gast- und Schankgewer-
bes zeitlich nach vorne. Seit Mitte August galten für die (sechs) Grazer Stadtbezirke
folgende Sperrstunden: für Gasthäuser (24 Uhr), für Kaffeehäuser (2 Uhr früh),
für Kaffeeschenken (23 Uhr), für Branntweinschenken (an Wochentagen 19 Uhr
454 Ein furchtbares Opfer der Spionenfurcht, in: Arbeiterwille, 11.8.1914, 2.
455 Ebd.
456 Der Alkohol – Serbienhochrufer!, in: Arbeiterwille, 4.8.1914, 4.
457 Ebd.
458 Im Alkoholdusel zum Serbenfreund, in: Arbeiterwille, 10.11.1914, 6.
459 Kundmachung betreffend Sperrstunde der Gast- und Schankgewerbe, Kundmachung des Grazer
Stadtrats vom 15.8.1914, in: Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz (20.8.1914), 392:
„Der Ernst der politischen Lage, der Zustand der öffentlichen Sicherheit und die mit Rücksicht
hierauf getroffenen Ausnahmsverfügungen, endlich die mit dem Kriege verbundene allgemeine
wirtschaftliche Lage lassen zur Hintanhaltung des übermäßigen Alkoholgenusses und seiner Fol-
geerscheinungen beitragende Maßnahmen dringend geboten erscheinen.“ Vgl. auch: Die Sperr-
stunde der Gast- und Schankgewerbe, in: Grazer Tagblatt, 17.8.1914 (Abendausgabe), 4.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453