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Über die „Sprachbereinigung“ | 347
spielsweise eine der letzten Aufmunterungen, die man im Krieg noch verspüren
könne: „‚Glücklicher Mensch‘, der jetzt sonst keine Sorge hat, als den Menschen
von den wenigen Erbauungen auch noch einige zu verekeln.“507 Darüber hinaus
besitze aus Sicht des Arbeiterwillens sowieso nur das bürgerliche Milieu (und
hier in erster Linie die Journalisten- und Akademikerkreise, die fernab der „ei-
gentlichen“ Front stehen würden) einen Umbenennungseifer, besser gesagt einen
„Umbenennungsgeifer“. Die bürgerlichen Grazer Zeitungen waren sich einig, dass
eine „Sprachbereinigung“ notwendig sei. Schließlich trage sie zur „Läuterung“ der
Menschen bei. Dieser „Katharsis“ musste zwangsläufig eine Abgrenzung von der
skandalisierten Lebensweise der einzelnen Kriegsgegner vorausgehen. In manchen
Artikeln sprach man diesbezüglich von der „Unkultur“ des Gegners. In anderen
Artikeln hieß es einfach nur, dass der Gegner eine niedere, oberflächlichere Kul-
tur besäße. Auf der bürgerlichen Tagesagenda stand daher das „Ausmerzen“ aller
französischen und englischen Wörter, wie „Adieu“ oder „Pardon“ aus der „deut-
schen“ Sprache. Im besten Falle käme es dann dazu, dass kein Fremdwort mehr
mit Ausnahme des Wortes „Franktireur“ verwendet werden würde.508 Der Grund,
warum man das Wort „Franktireur“ nicht „eindeutschen“ könne, liege darin, dass
„kein Deutscher solch Schandbube“509 sein könne, wie es der „Franktireur“ sei. In
welchem Ausmaß es belgische „Partisanen“ („Franktireurs“/„Freischützen“), die
sich gegen den deutschen Einmarsch wehrten, gab bzw. ob es überhaupt belgische
„Partisanen“ während des deutschen „Vormarschs“ gab, ist für meine Fragestellung
weniger von Bedeutung. Die Angaben der Fachliteratur hierzu variieren stark.510
Für die Grazer Presse stand jedoch fest, dass es „Franktireurs“511 gab. Die von den
bürgerlichen Redaktionen geforderte „Sprachbereinigung“ konnte nur ansatzweise
durchgeführt werden. Dieser Umstand soll rückblickend nicht die bürgerliche
„Reinigungserwartung“ schmälern. Immerhin lässt sich der Appell zur Umbenen-
nung oftmals greifen. Dennoch blieben viele der „Reinigungsforderungen“ unge-
hört. Das prominenteste Beispiel hierfür ist zweifelsohne die Tatsache, dass man
– wenngleich gefordert – die mit französischen Begriffen durchzogene Militär-
507 Ebd.
508 Der Franktireur, in: Grazer Tagblatt, 24.9.1914 (Abendausgabe), 4.
509 Ebd.
510 Siehe des Weiteren: Liemann (2014) und (2013). Das österreichisch-ungarische „Pendant“ zum
„Franktireur“ war der serbische „Komitatschi“, über den ebenfalls widersprüchliche Angaben in
der Fachliteratur vorliegen. Zum Bild des „Komitatschi“ in den Grazer Zeitungen vgl. folgende
zwei pejorative Artikel: Wie der Komitatschi kämpft, in: Grazer Volksblatt, 24.9.1914 (18-Uhr-
Ausgabe), 2; Ein hundertjähriger Komitatschi, in: Grazer Tagblatt, 15.11.1914 (2. Morgenaus-
gabe), 4.
511 Vgl. z. B. Totengräber und Franktireur, in: Grazer Mittags-Zeitung, 9.10.1914, 4.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453