Seite - 351 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Bild der Seite - 351 -
Text der Seite - 351 -
Über die „Sprachbereinigung“ | 351
umbenannt werden.521 Was die Umbenennung des Glacis anbetraf, handelte es sich
hierbei um eine jahrealte Forderung von Seiten (radikal) deutschnationaler Ver-
eine. Ob es sich bei der Umbenennung der Kosakengasse um eine alte oder eine
kriegszeitliche Forderung handelte, ist nicht klar. Johann B. Tilly war ein angese-
hener Grazer Bürger, der von allen Zeitungen gelobt wurde. Tilly gründete 1890
das Grazer Medizincorps und feierte im Juli 1914 sein 30-jähriges Dienstjubiläum
als Chefarzt der Freiwilligen Feuerwehr und ihrer Rettungsabteilung.522 Hätte man
sich damals tatsächlich für „Kaiser-Wilhelm-Straße“ und „Johann-B.-Tilly-Straße“
entschieden, hätte dies unverkennbar die Militarisierung, die „Verdeutschung“ so-
wie die „Vermännlichung“ der Grazer Straßennamen vorangetrieben (wie man
sie bereits seit Jahrzehnten gepflegte hatte). Dass es letztendlich nicht zu diesen
beiden Umbenennungen kam, verärgerte die Redaktion des Tagblatts. Ebenso
musste sie die gescheiterten Straßenumbenennungen in Innsbruck mit Argwohn
hinnehmen. Zwar war das Tagblatt darüber erfreut, dass sich der Innsbrucker
Gemeinderat einstimmig dafür entschieden hatte, einen Bismarckplatz und eine
Kaiser-Wilhelm-Straße zu errichten.523 Erbost zeigte sich das Tagblatt dagegen
darüber, dass dieser Beschluss „von klerikaler, vorwiegend altkonservativer Seite“
torpediert würde.524 Obendrein hatte der Tiroler Landesausschuss bereits mehrere
Jahre zuvor eine Lutherstraße in Innsbruck verhindert. So stand es zumindest im
Tagblatt. Zudem musste das Tagblatt in den ersten Kriegsmonaten mit ansehen,
dass andere Städte eine Kaiser-Wilhelm-Straße erhielten. Über diese Umbenen-
nungen zeigte man sich zwar erfreut525, aber es stimmte missmutig, wenn in der
eigenen Stadt eine derartige Straßenumbenennung nicht erfolgte. Meiner Meinung
nach erkennt man daher auch am Fall des Grazer Glacis und an der Kosaken-
gasse, dass die „Sprachbereinigung“ nicht konsequent umgesetzt wurde. Forde-
rungen wie „Hinweg mit französischen Fremdwörtern!“526, wurden daher mehr
ausgesprochen als tatsächlich verfolgt. Schlussendlich handelte es sich bei der
„Sprachbereinigung“ mehr um eine „Pflege der deutschen Muttersprache“527 als
521 Eine Kaiser-Wilhelm-Straße in Graz!, in: Grazer Tagblatt, 20.9.1914, 3; Gegen die Grazer „Kosa-
kengasse“, in: Grazer Tagblatt, 25.9.1914 (Abendausgabe), 3.
522 30 Jahre Chefarzt der Freiwilligen Feuerwehr und Rettungsabteilung, in: Grazer Tagblatt,
7.7.1914, 3.
523 Ein Protest gegen den „Bismarckplatz“ in Innsbruck, in: Grazer Tagblatt, 21.11.1914 (Abendaus-
gabe), 2.
524 Ebd.
525 Vgl. z. B. Eine Kaiser-Wilhelm-Straße in Karlsbad, in: Grazer Tagblatt, 17.10.1914 (Abendaus-
gabe), 2.
526 Hinweg mit französischen Fremdwörtern!, in: Grazer Volksblatt, 5.9.1914 (12-Uhr-Ausgabe), 4.
527 Die Pflege der deutschen Muttersprache, in: Tagespost, 11.9.1914, [ohne Seitenangabe].
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453