Seite - 382 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen382
rum endeten mit schweren Körperverletzungen infolge eines Bajonettstoßes. Ende
August wurde zum Beispiel ein, der Presse zufolge, alkoholisierter Büchsenmacher
von einem Wachposten des Finanzamtsgebäudes, wo das Bürgerkorps die Wachen
stellte, durch einen Bajonettstoß verletzt, weshalb dieser ins Krankenhaus eingelie-
fert werden musste.703 Im Nachhinein stellte sich heraus, dass der Passant dem
Wachposten bloß ein paar Zigarren (spontan) spendieren wollte, wobei sein Griff
in die Tasche zum „Auslöser“ der Gewalt wurde. Andere Vorfälle endeten mit
Warnschüssen. Beispielhaft ist hier ein nächtlicher Zwischenfall beim Andritzer
Wasserwerk, wo ebenfalls das Bürgerkorps die Wachen stellte. Der Wachposten
sah zunächst „mehrere Personen, die eine Lampe bei sich trugen“, die nahegelege-
nen Büsche durchstreifen.704 Als er ihnen zurief, wurde das Licht gelöscht. Nach-
dem keine Antwort folgte, entschloss sich der Wachposten mehrere Schüsse abzu-
geben. Aufgeklärt wurde der Vorfall nicht. Für die Presse hatte es aber den
Anschein, dass „sich mehrere Personen mit der Wache einen Spaß gemacht
haben“.705 In Gösting wurde Ende August sogar mehrmals auf den Wachposten des
(neuen) Monturdepots706 geschossen, wobei das Ganze in eine Verfolgungsjagd, an
der sich auch einige Zivilpersonen beteiligten, mündete.707 Obwohl man auf die
Flüchtigen schoss, gelang es ihnen zu entkommen. Im Zuge des „Absuchen[s] der
Gegend um das Depot [... kam es] zur Verhaftung von vier verdächtigen
Personen.“708 Am Ende blieb diese Verfolgungsjagd ein Einzelfall, die sich aber
gerade zu jener Zeit zutrug, als die Presse mehrmals zur Verfolgung „Flüchtiger“
aus dem k. k. Zivilinterniertenlager (am) Thalerhof aufrief. Aus den Tageszeitun-
ein Grazer, den besseren Ständen angehörend, in Gesellschaft zweier Damen die Eggenberger-
Unterfahrt. Plötzlich blieb der Herr inmitten der Unterfahrt stehen, betrachtete die Brücke so
auffallend, daß sich der dort befindliche Posten veranlaßt sah, den Mann zum sofortigen Ver-
lassen der Unterfahrt aufzufordern. Statt dieser Aufforderung nachzukommen, ließ der Ange-
haltene sich mit dem Posten in einen Wortwechsel ein und versetzte ihm schließlich einen Stoß.
Als der Posten das Bajonett fällte und der oberhalb der Brücke befindliche Posten, welcher durch
den Lärm aufmerksam wurde, herbeikam und dem Manne das Bajonett an die Brust setzte, ließ
der Bedrohte ab und gab seinen Widerstand auf, worauf er in das Wachzimmer am [... Haupt-
bahnhof] eskortiert wurde. Eine große Menge Neugieriger begleitete die Eskorte.“ Aus: Verhalten
gegenüber den Militärwachen, in: Grazer Volksblatt, 22.8.1914, 5.
703 Ein verhängnisvoller Irrtum, in: Grazer Mittags-Zeitung, 28.8.1914, 3.
704 Achtung auf die Wachtposten, in: Grazer Mittags-Zeitung, 24.8.1914, 3.
705 Ebd.
706 Die k. u. k. Armee verfügte seit 1912 nur mehr über vier Monturdepots. Die anderen Monturde-
pots waren in Wien, Brünn (Brno) und Budapest (Ofen-Pest), vgl. Wagner (1987), 571.
707 Anschlag auf einen Posten, in: Grazer Tagblatt, 1.9.1914 (Abendausgabe), 6. Vgl. auch: Auf einen
Wachposten geschossen, in: Grazer Volksblatt, 2.9.1914, 5.
708 Auf einen Wachposten geschossen, in: Grazer Volksblatt, 2.9.1914, 5.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453