Seite - 384 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen384
digte den Schusswaffengebrauch der Wachposten regelmäßig. So riet zum Beispiel
das Volksblatt nach einem Zwischenfall beim Garnisonsgericht (Paulustor), wo ein
Wachposten aufgrund einer „verdächtige[n] Wahrnehmung“ Schüsse abgegeben
hatte, dass man in der Nacht das Paulustor sowie den nahegelegenen Stadtpark
und den Schlossberg meiden sollte.717 Und auch der oben zitierte Artikel über den
Zwischenfall beim Andritzer Wasserwerk machte die Bevölkerung „nochmals auf-
merksam“, dass „sämtliche Wachtposten mit unnachsichtlicher [sic] Strenge vorge-
hen müssen.“718 Zusätzlich zu den redaktionseigenen Appellen zum zivilen Gehor-
sam gegenüber den Wachposten druckten die Zeitungen und Zeitschriften auch
jene behördlichen Verordnungen, denen zufolge „das Stehenbleiben auf Brücken
und Stegen sowie unter solchen, ferner auf Bahnübergängen und Verkehrswegen,
die unter einem Bahnkörper hindurchführen, streng verboten“ war.719 Dabei lassen
sich aus der Retrospektive zwei zentrale Argumentationsstränge in puncto zivilen
Gehorsam herausarbeiten. Der eine drehte sich um die zeitgenössische Vorstellung
des „Standrechts“, der andere korrelierte mit den „unglücklichen“ Zusammenstö-
ßen zwischen den Wachposten und Zivilpersonen. Bezüglich Ersterem sei hinzu-
gefügt, dass die Presse oft das Bild eines omnipotenten und rigide praktizierten
„Standrechtes“720 kolportierte, demzufolge man bereits wegen einer Kleinigkeit
legitim „gerichtet“ werden könne. Diese Wahrnehmung entsprach nicht der tat-
sächlichen Rechtslage, was jedoch nichts an der „nervenaufreibenden“ Erregtheit
im Zuge der verzerrten Vorstellung hinsichtlich des Wirkungs- und Anwendungs-
bereichs des „Standrechts“ änderte.721 Es sei vermerkt, dass zu Kriegsbeginn das
Militärkommando Graz „das Standrecht lediglich für die Verbrechen der Verlei-
tung oder Hilfeleistung zur Verletzung eidlicher Militärdienstverpflichtung, dem
in der Praxis anfangs nur marginale Bedeutung zukam“, verhängte.722 Eine massive
Ausdehnung seines Geltungsbereichs erfolgte Ende Mai 1915, als es generell gel-
tend gemacht wurde.723 Nichtsdestoweniger wurde 1914 der Schusswaffengebrauch
717 Eine Warnung an Spaziergänger, in: Grazer Volksblatt, 23.8.1914, 5.
718 Achtung auf die Wachtposten, in: Grazer Mittags-Zeitung, 24.8.1914, 3.
719 Das Stehenbleiben auf den Brücken ist verboten!, in: Grazer Volksblatt, 12.8.1914 (12-Uhr-Aus-
gabe), 3.
720 Die Wirkungen des Standrechtes, in: Arbeiterwille, 11.8.1914, 1.
721 Die Rechtslage wurde selbstverständlich auch vom Statthalter in Umlauf gebracht, vgl. nur: Ver-
hängung des Standrechtes über Steiermark, Kärnten, Krain, das Küstenland, Görz und Gradiska,
in: Grazer Tagblatt, 10.8.1914 (Abendausgabe), 2. Abseits der Zeitungen vgl. auch: Kundmachung
der Statthalterei vom 8.8.1914, in: Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz (10.8.1914),
390.
722 Moll (2000b), 311.
723 Ebd.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453