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Begriffsklärung und Fragestellungen 13
tige Ressource dar. International agierende Stiftungen wie die Rockefeller Foundation
spielten im Internationalisierungs- und Technisierungsprozess der aufkeimenden
Kernforschung in den 1920er und 1930er Jahren eine Schlüsselrolle, die hier für das
Beispiel Österreich erstmals systematisch untersucht wird.
Kulturelles Kapital bezieht sich laut Bourdieu auf kulturelles Wissen oder Prestige,
welches in der Regel durch (Aus-)Bildung erworben wird. Die Studie fragt danach, wie
Radioaktivistinnen und Radioaktivisten in Österreich kulturelles Kapital nutzten, um
ihre Position innerhalb der internationalen scientific community zu stärken.15 Im Ver-
gleich zu anderen europäischen Kulturnationen fluktuierte die kulturelle, staatliche
und politische Identität in den deutschsprachigen Ländern der Österreichisch-Ungari-
schen Monarchie bis weit in das 20. Jahrhundert hinein und entzog sich einer verbind-
lichen Definition.16 Die Herausbildung einer österreichischen Identität hat Zeithisto-
riker und Zeithistorikerinnen wiederholt beschäftigt.17 Die Frage, welchen Einfluss die
ungesicherte kulturelle Identität der deutschsprachigen Radioaktivistengemeinschaft
im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn und in seinem Nachfolgestaat (Deutsch-)Öster-
reich darauf hatte, wie sich diese im Netzwerk der internationalen Radioaktivitäts- und
Kernforschung verortete, erscheint auch aus einem allgemeinhistorischen Blickwinkel
interessant. Die wissenschaftshistorische Analyse leistet daher auch einen Beitrag zum
geschichtswissenschaftlichen Diskurs um die Konstruktion und Wirkungsmacht nati-
onaler kultureller Entitäten.
Bourdieu zufolge erwächst soziales Kapital aus der Interaktion mit Dritten. In Ra-
dioaktivistenkreisen waren Gastaufenthalte in ausländischen Laboratorien, der Emp-
fang von Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland und die Teilnahme an internati-
onalen Kongressen weit verbreitet. Doch unter welchen Umständen war man in
Öster reich überhaupt aktiv bestrebt, die eigene Forschungsarbeit international auszu-
richten ? Wie beeinflusste und vermittelte die Radioaktivistengemeinschaft in Öster-
reich Prozesse der Internationalisierung, und welchen Nutzen zog sie daraus für ihr
Forschungsprogramm ? Aus wissenschaftlichen Kommunikationspartnern konnten
rasch politische oder, in den Kriegseinsätzen an und hinter den Fronten der beiden
Weltkriege, auch militärische Gegner werden. Welche Folgen hatten die kriegerischen
Auseinandersetzungen und die nationale Selbstverortung im Krieg für die Radioakti-
vistinnen und Radioaktivisten in Österreich ? Wie veränderten sich die politischen und
15 Solche Strategien wurden für den Bereich der Mathematik und der Geschichte untersucht. Vgl.
Dhombres 2004 ; Schöttler 2004.
16 Vgl. den Überblick über die neuere Literatur zum Thema bei Bowman 2011. Vgl. daneben Stourzh
1995a ; Stourzh 1995b, 17–19.
17 Vgl. Botz/Sprengnagel 2008 ; Csúri/Kóth 2007 ; Rathkolb 2003 ; Bischof/Pelinka 1997 ; Wright 1995 ;
Plaschka/Stourzh/Niederkorn 1995 ; Wiltschegg 1992.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369