Seite - 17 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Bild der Seite - 17 -
Text der Seite - 17 -
Forschungsstand 17
»[A]tomic physics (theoretical and experimental) became constituted as an international
specialty after the war. The story of how this happened has not yet been told. We can surmise
though that this process depended, especially in its initial phases, on informal networks and
personal initiatives. […] [W]e lack systematic and detailed information about the networks,
centers, sources of funding, and research problems that populated the new international
space […]. That it was indeed a world in the making is evinced by the fact that even its most
advanced part – atomic physics – functioned mostly through informal networks. Hence,
most of the features that would make up post-World War II international physics – interna-
tional collaborations, trans- or supranational research facilities and funding agencies, and the
like – had yet to be invented.«26
Seit Crawfords Befund ist ein Korpus an wissenschaftshistorischen Studien entstanden,
die sich eingehend mit der Geschichte der Radioaktivitäts- und Kernforschung in vielen
Ländern Europas und den USA befassten. Soraya Boudia zeigte für das französische,
Jeffrey Hughes für das britische Beispiel, dass die Internationalisierung der Atomphysik
keineswegs erst nach dem Ersten Weltkrieg einsetzte.27 Eine systematische, verglei-
chende Untersuchung von Internationalisierungsprozessen über den Zeitraum der
Entstehung des neuen Forschungsfeldes Radioaktivität bis in die Zeit des Kalten Krie-
ges, wie Crawford sie forderte steht allerdings bis heute aus.28 Sie wäre besonders auf-
schlussreich im Hinblick auf die zu beobachtende Renationalisierung der Kernfor-
schung während des Zweiten Weltkriegs und danach. Für die Epoche des Kalten Krie-
ges liegen inzwischen zahlreiche Studien vor, die sich der Frage widmen, welche Rolle
die Kernforschung bei der (Re-)Formierung nationalstaatlicher Identitäten spielte.29
Betrachtet man die einschlägige Literatur, so fällt die Begriffsunsicherheit auf, mit
der die Phänomene des Universalismus, Internationalismus und Nationalismus bezie-
hungsweise Patriotismus im wissenschaftshistorischen Kontext diskutiert werden.30
Diese historiographische Begriffsverwirrung mag auch damit zusammenhängen, dass
die Begriffe von den Zeitgenossen ganz unterschiedlich verwendet wurden : Universalis-
mus, Internationalismus und Patriotismus hatten für (Natur-)Wissenschaftler, jeweils
abhängig vom Ort und von der Epoche, in der sie lebten, ganz verschiedene Bedeutun-
26 Crawford 1992b, 72, 75. Hervorhebung S.F.
27 Vgl. Boudia 2001 ; Stamm-Kuhlmann 1998, 23–40 ; Hughes 1997, 240 ; Badash 1979b, 92.
28 Erst für die Zeit nach 1945 liegen solche Untersuchungen zur Internationalisierung der Physik vor. Vgl.
Trischler/Walker 2010 ; Krige/Barth 2006 ; Hermann/Krige 1996 ; Krige 1993 ; Hermann 1990 ; Her-
mann 1987.
29 Vgl. für das Beispiel Frankreich Hecht 1998.
30 Ein Literaturüberblick zum Internationalismus in den Naturwissenschaften findet sich bei Krementsov
2005, 4–6.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369