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Forschungsstand 19
scheinbar universalen epistemischen Basis zu stark mit staatlichen Institutionen ver-
quickt waren und sind, um nationale Interessenlagen zu transzendieren.37 Dies gilt für
die Physik, deren Aufstieg zur Leitwissenschaft des frühen 20. Jahrhunderts eng mit
Nationalisierungsprozessen verknüpft war, in besonderem Maße.38 In den Industrie-
ländern wurden Erkenntnisse aus den verschiedensten physikalischen Forschungsfel-
dern für die innere und äußere Sicherheit, die wirtschaftliche Entwicklung und die
nationale Identität immer wichtiger.39 Nationalisierungsprozesse erfassten allerdings
nicht nur die Physik, sondern auch die meisten anderen Naturwissenschaften, wie der
französische Wissenschaftshistoriker Dominique Pestre hervorhebt :
»This [the process of nationalization, S.F.] has been the case with the everexpanding financing
of secondary and higher education, directly in Europe and indirectly in the United States ;
with the financing of major sectors of research (like George W. Bush’s anti-missile project) ;
with the creation of national laboratories since the Physikalisch-Technische Reichanstalt in
Berlin ; with large co-operative projects like the genome project ; and with prominent com-
panies working in the national (and their own) interest. Although this process of nationaliza-
tion started during the modern period (the Colbertian mode of managing techno-science
and society in France comes to mind, but parallel examples could be given for Britain, nota-
bly with respect to its navy), but it was at its height during the Cold War (notably in the
United States) – and is still largely with us.«40
Außerdem fand der wissenschaftliche Diskurs häufig in einem nationalen Rahmen
statt. Es kam somit grundsätzlich darauf an, welche Fragestellungen in einem Land
überhaupt als zulässig galten und welche Methoden Gültigkeit beanspruchen konnten,
um diese Fragen zu beantworten.41 Dessenungeachtet betrachteten und betrachten
viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Tätigkeit als universales Projekt.
Das Selbstbild einer friedlichen, politikfernen internationalen scientific community ist
gerade in den Naturwissenschaften bis heute weit verbreitet.
Während der Universalismus eine geistige Haltung bezeichnet, zielt der Begriff des
Internationalismus auf die wissenschaftliche Praxis ab.42 Die Definition umreißt die
37 Vgl. Charle/Schriewer/Wagner 2004, 10–11. Einer der ersten, die darauf hinwiesen, war Salomon 1971,
25–26.
38 Vgl. Edgerton 1997, 761.
39 Vgl. Harrison/Johnson 2009, 1–14.
40 Pestre 2003, 250.
41 Vgl. Charle/Schriewer/Wagner 2004, 12.
42 Beide Begriffe werden oft synonym verwendet. Der Begriff des Transnationalismus hebt stärker auf Loya-
litäten jenseits eines speziellen Herkunftsortes oder einer nationalen Gruppierung ab.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369