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Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationaler Kooperation und
Konkurrenz20
grenzüberschreitende Organisation der Wissenschaften. Hier geht es um Formen der
internationalen Kommunikation, Kooperation und Konkurrenz, sei es in einem insti-
tutionellen Rahmen oder durch private Kontakte.43 Grenzüberschreitende Kooperati-
onsbeziehungen in den Wissenschaften wurden seit dem späten 19. Jahrhundert stets
intensiver, was dazu führte, dass eigene internationale Wissenschaftsinstitutionen ge-
gründet wurden.44 Die Internationale Assoziation der Akademien, ein Zusammen-
schluss von Akademien aus zwölf europäischen Ländern und den USA, gilt als promi-
nentes Beispiel für diesen Institutionalisierungsprozess. Daneben bildeten internatio-
nale Konferenzen wie etwa die seit 1911 regelmäßig stattfindenden Solvay-Konferen-
zen und internationale Fachzeitschriften ein Forum dafür, wissenschaftliche Ergebnisse
in einem internationalen Rahmen zu präsentieren und zu diskutieren.45 Schließlich
bot die Verleihung renommierter Wissenschaftspreise wie zum Beispiel des Nobelprei-
ses einen Anreiz, Anerkennung im internationalen Rahmen zu finden.46 Begünstigt
durch verbesserte Transport- und Telekommunikationsmöglichkeiten, entwickelte sich
ein grenzüberschreitendes Netz wissenschaftlicher Kommunikationsbeziehungen.
Viele wissenschaftshistorische Fallstudien legen nahe, dass Nationalismus und Inter-
nationalismus, aber auch Nationalismus und Universalismus, in den Naturwissen-
schaften Gegensätze oder miteinander konkurrierende Trends darstellen. Daniel Kevles
und Brigitte Schroeder-Godehus stellten noch in den 1960er und 1970er Jahren die
internationale Ausrichtung der Wissenschaften seit dem späten 19. Jahrhundert als
säkularen Prozess dar, der durch den Ersten Weltkrieg erstmals unterbrochen worden
sei.47 Nach Kriegsende habe der Ausschluss der Kriegsverlierer aus internationalen
Wissenschaftsorganisationen Kontakte zwischen den einst Verfeindeten weiter er-
schwert. Deren wachsende Ideologisierung und Indienstnahme für nationale Interes-
sen in den 1920er und 1930er Jahren hätten ein Übriges getan, um die universalistisch
geprägte Wissenschaftsgemeinschaft zu entzweien. Wissenschaftshistoriker stellen den
43 Vgl. Metzler 2002, 289 ; Danneberg/Schönert 1996, 13. Siehe für das Beispiel der Molekularbiologie
Abir-Am 1993, 153. Viele Autoren und Autorinnen fassen den Begriff der Internationalisierung sehr
weit und verstehen darunter jede Form wissenschaftlicher Kommunikation, die über nationalstaatliche
Grenzen hinausgeht. Vgl. Charle/Schriewer/Wagner 2004, 12.
44 Vgl. Clavin 2005, 424.
45 Vgl. Feuerhahn/Rabault-Feuerhahn 2010 ; Marage/Wallenborn 1999. Zur Durchsetzung internationaler
Konferenzen in den einzelnen Disziplinen siehe Fuchs 2002a.
46 Eine kritische Analyse der Vergabepolitik des Nobel-Komitees bietet Friedman 2001.
47 Siehe zum Einfluss des Ersten Weltkriegs auf die internationalen Wissenschaftsbeziehungen in der Physik
Kevles 1971. Wagner kritisiert die Ansicht vieler, dass zwischen dem späten 19. Jahrhundert und dem
Beginn des Zweiten Weltkriegs eine Universalisierung der Wissensproduktion stattfand, die wissenschaft-
liche Kommunikation sich also von einem lokal begrenzten Ansatz hin zu einem global gültigen Ansatz
hin entwickelt. Vgl. Wagner 2004, 17.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369