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Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung,
1899–191832
Pierre und dessen Mitarbeiter Gustave Bémont mit der Entdeckung von Polonium
(Juli 1898), Radium (Dezember 1898) und des radioaktiven Charakters von Thorium
(1898) den Grundstein für die neue Forschungsrichtung gelegt. Curies Schüler, der
Chemiker André Debierne, fand im darauf folgenden Jahr Actinium (Oktober 1899).6
Radium war mit einer Halbwertszeit von rund 1.600 Jahren das stabilste der um die
Jahrhundertwende bekannten radioaktiven Substanzen, und ihm sowie seinen Zerfalls-
produkten galt das Hauptaugenmerk der frühen Forschung. Das silbrig-weiße Alkali-
metall kommt in der Natur extrem selten vor und ist stets mit Uranerz vergesellschaf-
tet.7 Seine Gewinnung war vor allem im ersten Jahrzehnt nach seiner Entdeckung, als
sich die industrielle Produktion erst allmählich durchsetzte, aufwendig und teuer.
Thoriumerze, die in der Natur häufiger vorkommen als Uranerze, machten die Zerfalls-
produkte der Thorium-Gruppe vor dem Ersten Weltkrieg günstiger als die der Uran-
Radium-Gruppe.8 Otto Hahn entdeckte das dem Radium in vieler Hinsicht ähnliche
Zerfallsprodukt Mesothor 1907 in alten Thoriumpräparaten.9 Thorium emittiert mit
seinen Umwandlungsprodukten die gleichen drei Strahlungsgruppen wie das Radium,
hat gegenüber Radium C aber den Vorteil längerer Reichweiten seiner α-Teilchen. Die
γ-Strahlen des aktiven Niederschlags sind ebenso durchdringend wie die der Radium-
produkte. Der Nachteil gegenüber dem Radium besteht in seiner nicht konstanten
Aktivität und relativen Kurzlebigkeit.10 Die radioaktive Substanz Polonium ist etwa
400 Mal aktiver als das Ausgangsmetall Uran.11 Polonium (Po-210) kommt in der
Natur nur in sehr geringen Mengen vor, allerdings wird es durch den radioaktiven
Zerfall des natürlich vorkommenden Isotops Uran (U-238) laufend nachproduziert.
Seine physikalische Halbwertszeit ist mit 138,4 Tagen deutlich geringer als die des
Radiums. Polonium war für Medizin und Wissenschaft vor dem Ersten Weltkrieg
weniger bedeutend als Radium. Auch das Actinium war in allen Uranerzen enthalten,
doch seine chemischen Eigenschaften blieben bis in die 1920er Jahre weitgehend un-
geklärt. Actinium spielte wegen der im Gegensatz zu Radium geringen Lebensdauer
seiner Tochterprodukte (13,5 Jahre) in der frühen Radioaktivitätsforschung eine nach-
rangige Rolle.12
6 Der Physiker G. C. Schmidt machte zeitgleich und unabhängig von Curie diese Entdeckung. Vgl.
Schlote/Börngen 2002, 606.
7 Der Gehalt des Radiums liegt bei 0,3 Gramm pro Tonne Uranerz.
8 Monazitsand diente als Ausgangsstoff zur Gewinnung des radioaktiven Mesothors.
9 Vgl. Hoffmann 1993, 48.
10 Mesothor ist praktisch strahlungsfrei, liefert aber ein β-strahlendes Zerfallsprodukt mit einer Halbwerts-
zeit von 6,2 Stunden.
11 Vgl. Allisy 1995, 467.
12 Vgl. Ceranski 2008a, 419.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369