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räten doch an der Quelle saß, sehr viel kleiner war und in geringerem Ausmaß zum
wachsenden Forschungsstand beitrug als ihr deutschsprachiges Pendant. Die deutsch-
österreichischen Radioaktivisten und Radioaktivistinnen waren zweifellos erfolgreich
darin, sich vor anderen interessierten Gruppen im Vielvölkerstaat den Zugang zu
Radium und anderen kostbaren radioaktiven Präparaten zu sichern. Der bereits er-
wähnte Wiener Physiker Franz Serafin Exner spielte in diesem Zusammenhang eine
Schlüsselrolle.59
Exner prägte als Wissenschaftlerpersönlichkeit, die über die Landesgrenzen hinaus
bekannt war, nachhaltig die Physik und die Radioaktivitätsforschung in der Österrei-
chisch-Ungarischen Monarchie. Er tat dies gemeinsam mit einem Kreis junger Natur-
wissenschaftler, die er in Wien um sich scharte. Der sogenannte »Exner-Kreis« hatte in
mehrfacher Hinsicht entscheidenden Einfluss darauf, dass sich die Radioaktivitätsfor-
schung im cisleithanischen Teil der Monarchie, und hier besonders in der deutschspra-
chigen Naturwissenschaftsgemeinschaft, verbreitete.60 Erstens spielten wissenschaftli-
che Kooperationen zwischen den Mitgliedern des Kreises eine herausragende Rolle.
Exners Schüler betrieben im Wien der Jahrhundertwende gemeinschaftlich Forschun-
gen zur Radioaktivität, die sie später in Graz, Innsbruck und an anderen deutschspra-
chigen Hochschulen des Habsburgerreiches fortsetzten. Die Radioaktivitätsforschung
gelangte so, ausgehend vom Zentrum Wien, an die in der Peripherie gelegenen Uni-
versitäten des Landes. Die frühen Kooperationen wurden zweitens zur Grundlage eines
Netzwerks, das die Monarchie überdauerte und die Radioaktivitäts- und Kernfor-
schung an den Hochschulen Österreichs bis in die späten 1930er Jahre prägte. Der
Exner-Kreis pflegte drittens eine Experimentalkultur, die mehr als 30 Jahre den episte-
mischen Rahmen vorgab für die Radioaktivitäts- beziehungsweise Kernforschung in
Österreich. Seine Mitglieder setzten Maßstäbe im Instrumentenbau, dem im Kontext
dieser Experimentalkultur eine hervorragende Bedeutung zukam. Auch deshalb genos-
sen die Mitglieder des Kreises besondere Autorität in Fragen der Metrologie.
Die Radioaktivitätsforschung war durch Exner von Beginn an im Zentrum der
akademischen Welt des Habsburgerreiches verankert. 1849 als Sohn des Philosophen
und Reformers des k. k. Hochschulwesens, Franz Exner, in Wien geboren, hatte Franz
Serafin bei Josef Stefan, Victor von Lang und Josef Loschmidt Physik studiert und
59 Vgl. dagegen Seidlerová/Seidler 2010, 35–36, die Exner keine entscheidende Rolle zugestehen wollen, da
das Archivmaterial dagegen spreche. Entscheidend dafür, dass die Radioaktivität in Österreich beforscht
wurde, seien vielmehr Exners Schüler Meyer und Schweidler gewesen, die anfangs »isoliert« gewesen
und über keine nennenswerten Kontakte zu den Entscheidungsträgern in der k. k. Ministerialbürokratie
verfügt hätten.
60 Siehe zum Exner-Kreis Fengler 2013.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369