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Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung,
1899–191842
wirkte seit 1891 in seiner Heimatstadt als ordentlicher Professor.61 Von seinem Lehrer
Loschmidt übernahm er im selben Jahr die Leitung des Physikalisch-Chemischen Ins-
tituts (das 1902 in II. Physikalisches Institut umbenannt wurde) der Universität Wien.
Seit 1908/09 war Exner überdies Rektor der Universität Wien und leitete ab 1910 of-
fiziell das Institut für Radiumforschung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften
in Wien.
Die Haupt- und Residenzstadt nahm im Hochschulsystem der Doppelmonarchie
eine Sonderstellung ein. Sie war die größte Universität gemessen an der Zahl der Hörer
und Lehrkanzeln, der finanziellen Ausstattung unter anderem durch die Kollegien-
gelder der Studierenden sowie dem dort ausgebildeten wissenschaftlichen Nachwuchs.
Insgesamt gesehen bot die personelle wie materielle Konstellation ideale Voraussetzun-
gen, um die Radioaktivitätsforschung im Zentrum der Österreichisch-Ungarischen
Monarchie prominent zu platzieren. Darin unterschied sich Wien von dem anderen
frühen Zentrum der Radioaktivitätsforschung, Paris. Das Labor des Ehepaars Curie in
der französischen Hauptstadt war institutionell an der wenig prestigeträchtigen Ecole
Municipale de Physique et Chimie Industrielle (EPCI) angesiedelt. So verlor das For-
schungsfeld in Paris trotz einer vergleichsweise großzügigen Unterstützung durch die
Académie des Sciences nie ganz das Odium des »plebeianism«.62 Und es gab noch
einen weiteren Unterschied : Marie Curie vergrößerte nach dem Tod ihres Mannes
1906 ihren Mitarbeiterkreis systematisch durch Stipendiatinnen und Stipendiaten aus
dem Ausland.63 Hingegen rekrutierte Franz Serafin Exner den wissenschaftlichen
Nachwuchs fast ausschließlich aus seiner Wiener Studentenschaft.
Der Exner-Kreis war keine wissenschaftliche Schule im engeren Sinne, auch wenn
sich in ihm Schüler um einen charismatischen wissenschaftlichen Lehrer gruppier-
ten.64 Der Münchener Physiker Arnold Sommerfeld bezeichnete Franz Serafin Exner
wohl zu Recht als »Mittelpunkt des physikalischen Lebens in Österreich während
eines Menschenalters«.65 Wie durchschlagend Exners Erfolg als akademischer Lehrer
war, lässt sich an der Vielzahl seiner Schüler ablesen. Der in Graz lehrende Exner-
Schüler Hans Benndorf formulierte aus der Rückschau : »Wie nach einem warmen
61 Siehe zur Gelehrtenfamilie der Exners Coen 2007.
62 Vgl. Davis 1995, 324, 327. Davis weist darauf hin, dass die Radioaktivitätsforschung in Paris auch in der
Zwischenkriegszeit auf persönlichen Kontakten und familiären Bindungen beruhte, in deren Zentrum
Marie Curie und das Ehepaar Joliot-Curie standen.
63 Vgl. Schürmann 2006, 39 ; Pestre 1984, 77–84.
64 Vgl. Crawford 1992a, 99–100. In der Literatur wird der Exner-Kreis mitunter als »Exner-Schule« oder
auch als »Wiener Schule der Physik« bezeichnet. Der Begriff der wissenschaftlichen Schule ist wissen-
schaftshistorisch allerdings umstritten, werden mit ihm doch unterschiedliche Bedeutungsinhalte ver-
knüpft. Vgl. Keith/Hoch 1986, 19.
65 Sommerfeld 1927, 27.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369