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Das Zentrum formiert sich 53
Gramm Radium, die sie zum Teil im eigenen Labor, zum Teil von der französischen
Radiumindustrie hatte herstellen lassen. Die Preußische Akademie der Wissenschaften
in Berlin verfügte über 27 Milligramm halbreines und acht Milligramm reinstes Radi-
umbromid ; einige Milligramm waren außerdem in der Berliner Charité sowie an der
Technischen Hochschule vorhanden. Der Rest verteilte sich auf kleinere Laboratorien
in Frankreich und Schweden, den USA und Großbritannien, und auf die Industrie.112
So schätzte man in Wien die 1910 bei Armet de Lisle in Frankreich vorhandene Radi-
ummenge auf drei bis vier Gramm. Hinzu kamen jeweils 0,7 Gramm Radium, die sich
in der Fabrik Neulengbach bei Wien und bei der Ramsay-Gesellschaft (Society of
Chemical Industry) in London befanden.113
Das Institut für Radiumforschung besaß neben reinem Radium mehrere ebenfalls
aus Atzgersdorf stammende Actinium-Ionium-Präparate, dessen stärkstes (Ac 1) rund
zehn bis zwölf elektrostatische Einheiten pro Quadratzentimeter aufwies.114 Hinzu
kamen sechs Flaschen Radiobleiazetatlösung und drei große Flaschen Radiobleichlorid,
aus denen Polonium gewonnen werden konnte.115 Schließlich gab es Uranerzrück-
stände aus Atzgersdorf, welche die Akademie in den Jahren 1904/05 vom k. k. Mon-
tan-Verkaufsamt in Wien erworben hatte.116 Sie wurden in Atzgersdorf für eine spätere
wissenschaftliche Nutzung deponiert.117 Der Wert der Wiener Präparate wurde 1911
mit 1,7 Millionen Goldmark veranschlagt.118 Doch damit nicht genug. In Wien folgte
man nach der Gründung des Instituts für Radiumforschung der »Logik der Akkumu-
lation« radioaktiver Stoffe in ähnlicher Weise, wie dies auch das Ehepaar Curie in Paris,
Otto Hahn in Berlin oder William Ramsay in London taten.119 Es galt, den einmal
angehäuften Radiumschatz der Akademie zu mehren. Einfach war dies nicht. Denn
das St. Joachimsthaler Radium war so begehrt, dass jedes erzeugte Milligramm trotz
des hohen Preises sofort verkauft wurde.
112 Vgl. die Angaben bei Helvoort 2001, 40. Siehe zur Verteilung von Radium für medizinische Zwecke in
Frankreich, Schweden, den USA und Großbritannien ebd., 48–49.
113 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 341 : Aufstellung Radium vom November 1910.
114 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 20, Fiche 322 : Meyer an Ulrich vom 8.11.1913.
115 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 341 : Zur Kenntnis des Aufenthaltes radioaktiver
Produkte aus dem Besitz der k. Akademie der Wissenschaften, undatiert.
116 Die 6.300 Kronen zum Erwerb der Uranerzrückstände (nicht : Rückrückstände) stammten aus dem
Treitl-Fonds der Akademie. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 29, Fiche 395 : Notiz, undatiert.
117 Vgl. Ernst 1992, 189. Siehe auch Churchill Archives Centre Cambridge, Lise Meitner Papers, ab sofort :
CAC, MTNR 5/12/3, Bl. 39–40 : Meyer an Meitner vom 28.1.1918.
118 Vgl. Roqué 2001a, 61, Fn 23.
119 Roqué 2001a, 52. Roqué verweist indes darauf, dass niemand so konsequent mit der Produktion radio-
aktiver Elemente befasst war wie Curie (vgl. ebd. 54).
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369