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Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung,
1899–191864
Ausrüstung, um experimentell zu forschen, sondern auch an geeigneten Gesprächspart-
nern, mit denen Hevesy seine Ergebnisse diskutieren konnte.172 Gemeinsam mit Fritz
Paneth entwickelte er in Wien die Tracermethode, durch die chemische Elemente mittels
Beimischung ihrer radioaktiven Isotope analytisch gekennzeichnet werden können.173
Exner und sein als Institutsleiter agierender Assistent Meyer ließen den Gästen in
der Regel jede Freiheit, die bereitgestellten Präparate nach eigenem Gutdünken zu
nutzen. Gleichzeitig setzten sie die vorhandenen Ressourcen aber auch strategisch ein,
um wissenschaftliche Kontroversen zu klären. Dies soll am Beispiel der Atomgewichts-
bestimmungen radioaktiver Elemente verdeutlicht werden. Der Radiochemiker Otto
Hönigschmid, der an der Deutschen Technischen Hochschule in Prag die Lehrkanzel
für anorganische und analytische Chemie innehatte, wurde von Meyer in dieser Frage
besonders unterstützt.174 Angelockt durch die üppige apparative Ausstattung, war
Hönigschmid regelmäßiger Gast des Instituts für Radiumforschung.175 In Wien be-
stimmte er gemeinsam mit Stefanie Horowitz die wichtigsten Atomgewichte der End-
produkte der radioaktiven Zerfallsreihen, namentlich von Radium, Uran beziehungs-
weise Uranblei und Ionium-Thorium.176
Hönigschmid befand sich bei der Atomgewichtsbestimmung des Bleis in einem
Wettstreit mit seinem Münchener Kollegen, dem Radiochemiker Kasimir Fajans.
Meyer nutzte seine Verbindungen nach St. Joachimsthal dafür, seinem Prager Kollegen
zur Seite zu stehen. Um den Wettlauf
»ein klein wenig zu handicapen, habe ich heute in höchst unmoralischer Weise an [Carl]
Ulrich geschrieben, dass Sie mit Fajans in dieser Frage concurrieren und ihn gebeten, die
Bleilieferung an Fajans, die diesem von ihm zugesagt, aber noch nicht effectuiert ist, nicht
unnötigerweise zu beeilen. Andererseits sind wir ja alle darin einig, dass es nur gut sein kann,
wenn die Bestimmung von zwei Seiten gemacht wird.«177
172 Vgl. CUL, RC, Add 7653, H 136 : Hevesy an Rutherford vom 18.2.1914 und vom 27.5.1914.
173 Vgl. Niese 2006. Siehe auch Niels Bohr Archive Kopenhagen, Georg von Hevesy Scientific Correspon-
dence, ab sofort : NBA, GH : Bohr, Niels, Film 2, Section 2 : Hevesy an Bohr vom 22.1.1914.
174 Vgl. Schwankner 1981.
175 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 219 : Hönigschmid an Meyer vom 15.11.1912 und
20.6.1914.
176 Vgl. Hönigschmid 1911 ; Hönigschmid 1912 ; Haschek/Hönigschmid 1912 ; Hönigschmid 1914 ;
Hönigschmid/Horovitz 1914. In Berlin führte Otto von Baeyer auf Vermittlung Lise Meitners eine
Untersuchung des Zeeman-Effektes von Radium G und gewöhnlichem Blei durch. Vgl. Meitner an
Hahn vom 25.4.1915, zitiert bei Ernst 1992, 44. Vgl. zur Atomgewichtsbestimmung von Ionium Hö-
nigschmid/Horowitz 1915 ; Hönigschmid/Horowitz 1916. Diese Arbeit diente als weiterer Beweis, dass
chemisch identische Stoffe (Isotope) verschiedene Atomgewichte besitzen können.
177 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 219 : Meyer an Hönigschmid vom 28.10.1913.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369