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Das Zentrum etabliert sich 75
primären Standard erhoben wurde und nicht eines der zur gleichen Zeit in Wien her-
gestellten Präparate.216 In Wahrheit ging es weder Meyer noch Rutherford darum, sich
Curie gegenüber kollegial zu verhalten. Rutherford und andere Kommissionsmitglie-
der kommentierten Curies metrologische Arbeit untereinander durchaus skeptisch bis
abfällig. Das hinderte sie aber nicht daran, das wissenschaftliche Renommee der zwei-
fachen Nobelpreisträgerin zu nutzen, um das Prestige der Internationalen Radiumstan-
dard-Kommission gegenüber ihren künftigen Kunden, den Vertretern von Regierun-
gen und der Industrie, zu mehren.
Meyers unermüdliches Engagement als Sekretär der Radiumstandard-Kommission
wurde schließlich belohnt. Im März 1912 traf sich die Kommission in Paris, um über
weitere Maßnahmen zu beraten.217 Die anwesenden Kommissionsmitglieder gingen
daran, das Pariser Urnormal mit den drei von Hönigschmid geschaffenen Wiener
Standards anhand von zwei verschiedenen γ-Strahlenmethoden zu vergleichen. Die
Vergleichsmessungen ergaben, dass die Strahlungsintensitäten der Wiener und Pariser
Standards in hohem Maße übereinstimmten.218 Andere Standards wie der, den Wil-
liam Ramsay durch Soddy zu dem Pariser Treffen mitbringen ließ, wurden nicht in
Betracht gezogen.219 Ob es an Ramsays Herstellungsmethode lag, dass sein Standard,
wie Meyer behauptete, »hinter den anderen merklich zurückblieb«, bleibt unklar.220
Rutherford selbst hatte jedenfalls allen Grund, die Wiener Standards als verlässlich
anzuerkennen. Schon im Vorfeld hatte er seinem Freund Boltwood in einem Brief
gestanden :
»I have not much doubt but that the two standards will be found in very good agreement,
but it will be a devil of a mess if they are not. That is one of the reasons that I must be there
to act as arbitrator between the two parties.”221
Zwischen den Konkurrenten Wien und Paris zu vermitteln, hielt ihn als Präsident der
Kommission genügend in Atem und ein zusätzlicher Konkurrent aus den eigenen
Reihen hätte die Lage unnötig verkompliziert. Ausschlaggebend war aber wohl, dass
Rutherford dringend auf Unterstützung aus Österreich angewiesen war, sollte die In-
ternationale Radiumstandard-Kommission auch künftig einflussreich bleiben. Mit den
216 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 277 : Meyer an Paneth vom 3.8.1949.
217 Vgl. Rutherford 1912, 115.
218 Vgl. Hahn 1962, 67.
219 Vgl. Boudia 1997, 258. Die drei Wiener Standards hatten eine Größe von 10,11 Milligramm, 31,17
Milligramm and 40,43 Milligramm. Vgl. Allisy 1995, 474.
220 CUL, RC, Add 7653, M 134 : Meyer an Rutherford vom 17.4.1912.
221 Rutherford an Boltwood vom 18.3.1912, zitiert bei Coursey/Collé/Coursey 2002, 6.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369