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Das Zentrum etabliert sich 77
existierenden Standards erheblich voneinander abwichen.225 Schlussendlich erklärten
sich das Ministerium und das k. k. Montan-Verkaufsamt jedenfalls bereit, der Interna-
tionalen Radiumstandard-Kommission radioaktives Material für die Herstellung von
sekundären Standards zu einem Preis zu verkaufen, der fast ein Viertel unterhalb des
üblichen Marktniveaus lag.226
Bis 1913 vermittelte die Kommission sieben sekundäre Standards an Staaten in
Europa und Übersee. Die Sekundärstandards dienten dazu, Radiumpräparate für wirt-
schaftliche und wissenschaftliche Zwecke im jeweiligen Land zu eichen.227 Ihre Aufbe-
wahrung war in den einzelnen Ländern unterschiedlich geregelt. Im Deutschen Reich,
in Großbritannien und in den USA richteten bereits bestehende messtechnische An-
stalten Abteilungen für radioaktive Standardisierung ein. Fortan übernahmen die PTR,
das National Physical Laboratory und das US-amerikanische National Bureau of Stan-
dards die hoheitliche Aufgabe, radioaktive Proben mithilfe ihrer neuen Sekundärstan-
dards zu messen und zu wägen. In Österreich-Ungarn und in Frankreich wurden die
Messstationen den bestehenden oder noch zu errichtenden Forschungslaboratorien
angegliedert. In Wien wurde das Institut für Radiumforschung offiziell damit betraut,
den Radioaktivitätsgehalt eingereichter Proben zu ermitteln. In Paris nahm der Service
de Mesures zunächst am Laboratoire Curie seine Arbeit auf und wurde später dem
Institut du Radium unterstellt.228
Das Institut für Radiumforschung genoss als Aufbewahrungsstelle für das internati-
onale Reserve-Urnormal nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen hohes Ansehen. Auch
in den Augen des k. k. Ministeriums für öffentliche Arbeiten beziehungsweise des k. k.
Montan-Verkaufsamtes in Wien gewann es an Glaubwürdigkeit. Vorbei waren die
Zeiten, als die ungenauen Messmethoden der Wiener Physiker das Mißtrauen des k. k.
Montan-Verkaufsamtes geweckt hatten.229 Die Behörde hoffte vielmehr, Meyers Kar-
riere als internationaler Experte und die wachsende Reputation seines Instituts als
Eichstelle für radioaktive Präparate zum eigenen Vorteil nutzen zu können. Bot das
Institut doch »die grössten Sicherheiten bezüglich sachgemässer Durchführung« der
Messungen. Die Mitarbeiter im k. k. Montan-Verkaufsamt waren daher zuversichtlich,
225 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 360 : Meyer an k. k. Ministerium für Cultus und
Unterricht vom 30.4.1912.
226 Vgl. CUL, RC, Add 7653, M 116 : Meyer an Rutherford vom 18.11.1911 ; ebd., M 143 : Meyer an
Rutherford vom 21.10.1912.
227 Sekundäre Standards gingen nach Frankreich, Großbritannien, in die USA, das Deutsche Reich, nach
Japan und Portugal. Vgl. Meyer 1950, 21–22.
228 Vgl. Roqué 2001a, 59.
229 Eichungen fanden vor Gründung des Instituts für Radiumforschung am II. Physikalischen Institut der
Universität Wien statt. Vgl. Braunbeck 1996, 62.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369