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Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung,
1899–191882
ginnen und Kollegen in anderen europäischen Ländern und in Übersee stellten sich und
ihre speziellen Kenntnisse den Krieg führenden Regierungen in patriotischer Begeiste-
rung zur Verfügung.247 Während andernorts Geräte und Rohstoffe für die Kriegswirt-
schaft beschlagnahmt, Institute zu Lazaretten umgebaut und Mitarbeiter zum Kriegs-
dienst eingezogen wurden, ging der Forschungsbetrieb am Institut für Radiumforschung
ohne große Störung weiter.248 Stefan Meyer wurde als Institutsleiter unabkömmlich
gestellt.249 Er ging zwar nicht so weit wie andere Mitglieder des Exner-Kreises, die den
berüchtigten Aufruf der 93 Professoren »An die Kulturwelt« unterzeichneten.250 In sei-
ner privaten Korrespondenz ließ er aber keinen Zweifel an seiner patriotischen Grund-
haltung und seinem Glauben an die gerechte deutsch-österreichische Sache.251
Auf Seiten der Alliierten fehlte es nicht an ebenso nationalistischen Entgegnungen
auf die deutsch-österreichische Kriegspropaganda.252 Selbst in neutralen Ländern wie
Schweden unterzeichneten Radioaktivisten antideutsche Protestnoten. Ernest Ruther-
ford, der sich selbst mit öffentlichen Äußerungen zurückhielt, lobte seinen schwedi-
schen Kollegen Svante Arrhenius :
»I was very pleased indeed to see your name as one of the signatories of a protest of your
countrymen against the methods of war employed by Germany. I can quite appreciate that
it requires a good deal of courage to sign such a protest in these times, as it may involve a
break in relations with many of your continental friends.«
247 Vgl. Centrum för vetenskapshistoria, Kungl. Vetenskapsakademien Stockholm, Arkiv Svante Arrhenius,
ab sofort : KVA, ASA, Serie E1, Bl. 25 : Thirring an Arrhenius vom 13.10.1921. Zu Rutherfords Kriegs-
forschung AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 348 : Boltwood an Meyer vom 18.1.1916.
248 Vgl. CUL, RC, Add 7653, S 173 : Soddy an Rutherford vom 17.1.1915 ; AÖAW, FE-Akten, IR, NL
Meyer, K 15, Fiche 244 : Lawson an Meyer vom 11.8.1917. Vgl. zur Lage am II. Physikalischen Institut
AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 219 : Hönigschmid an Meyer vom 14.8.1914, und zur
Situation am Institut für Radiumforschung Meitner an Hahn vom 5.1.1915 und 25.4.1915, zitiert bei
Ernst 1992, 26, 44.
249 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 304 : Meyer an Schweidler vom 19.3.1915.
250 Darunter waren Franz Serafin Exner, Ernst Lecher und Egon von Schweidler. Vgl. Wolff 2008, 376 ;
AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 304 : Schweidler an Meyer vom 9.2.1915. Der Aufruf
wurde abgedruckt in Bruch/Hofmeister 2000, 366–369. Siehe auch Bruch 2005.
251 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 348 : Meyer an Boltwood vom 18.3.1915 ; ebd., K
16, Fiche 254 : Meyer an Lind vom 19.4.1921.
252 Vgl. CAC, MTNR 5/12/3, Bl. 12–13 : Meyer an Meitner vom 3.2.1915. Nachdem Meitner ihm ein
Exemplar der »Antwort der englischen Gelehrten« zugesandt hatte, kommentierte Meyer dieses : »Inhalt-
lich ist sie recht schwach und bestärkt nur meine Meinung, dass solange die Waffen reden Gelehrte und
Künstler schweigen sollen.« CAC, MTNR 5/12/3, Bl. 15–16 : Meyer an Meitner vom 8.3.1915. Siehe
zur Diskussion Meyers mit Meitner über die Kampagnen Ernst 1992, 147–149, und zu den Reaktionen
britischer und US-amerikanischer Naturwissenschaftler gegenüber dem Deutschen Reich Badash 1979b,
103.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369