Seite - 99 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Bild der Seite - 99 -
Text der Seite - 99 -
Das regionale Netzwerk festigt sich 99
»Da die Radiologie – in theoretischer wie in praktischer Hinsicht eines der fruchtbarsten
Gebiete der Physik, dem noch eine große Zukunft bevorsteht – an unserer Universität und
in Österreich überhaupt keine spezielle Vertretung hat, so scheint der Vorschlag, auch abge-
sehen von St[efan]. Meyers persönlichen Verdiensten um die Wissenschaft, meritorisch ge-
rechtfertigt, da es sehr wünschenswert ist auch dieses Forschungsgebiet den Studierenden
zugänglich zu machen. Dafür ist aber gerade Wien der günstigste Boden wegen des hier
bestehenden Radiuminstitutes, welches aber selbst nicht Unterrichtszwecken dient.«23
Meyer wurde 1920 zum Ordinarius berufen. Für die Nachfolge des Leiters der Lehr-
kanzel für Experimentalphysik am II. Physikalischen Institut der Universität Wien
kamen ebenfalls ausschließlich Exner-Schüler der ersten Generation in Betracht : Gus-
tav Jäger, der 1918 als ordentlicher Professor die Lehrkanzel für theoretische Physik an
der Universität Wien übernommen hatte, Egon von Schweidler, seit 1911 ordentlicher
Professor für experimentelle Physik an der Universität Innsbruck sowie der seit 1908
an der TH Wien wirkende Heinrich Mache.24 Ein Teil der Professorenschaft unter-
stützte zudem die Kandidatur des Wiener Physikers und Exner-Schülers Felix Ehren-
haft, der seit 1913 als besoldeter außerordentlicher Professor für Physik an der Univer-
sität Wien tätig war und der ein eigenes Institut mit entsprechender Ausstattung for-
derte, nachdem er zum Ordinarius ernannt worden war.
Gegen Ehrenhaft formierte sich umgehend eine Koalition von Wiener Physikern,
die seine »Tätigkeit […] als die der Opposition auf physikalischem Gebiet« ansah.25
Ihre Kollegen in Graz und Innsbruck, denen Ehrenhafts Arbeiten und sein Auftreten
in Wien aus Berichten bekannt waren, leisteten Schützenhilfe.26 Auch hochkarätige
23 ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 640/4/5770, Bl. 91–92 : Kommis-
sionsbericht betreffend die Wiederbesetzung der Lehrkanzel für Physik am II. Physikalischen Institute,
undatiert [1920].
24 Neben Heinrich Mache hatte Ludwig Flamm die andere Lehrkanzel für Physik an der TH Wien inne,
Franz Aigner besetzte die außerordentliche Professur und war Assistent Maches. Vgl. ÖStA, AVA, Mini-
sterium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 640/4/5770 (1920), Bl. 71–72 : Kommissionsbericht
betreffend die Wiederbesetzung der Lehrkanzel für Physik am II. Physikalischen Institute, undatiert
[1920]. Daneben wurden der in Graz lehrende Hans Benndorf und Anton Lampa genannt. Lampa war
bei seiner Rückkehr nach Wien 1918 zunächst ohne berufliche Position und arbeitete später im Bundes-
ministerium für Unterricht. Seit 1921 wirkte er als außerordentlicher Professor an der Universität Wien.
Vgl. Karlik/Schmid 1982, 142–143.
25 UAW, PA Felix Ehrenhaft, PH PA 1537, Kiste 67, Bl. 55 : Abstimmungsergebnis über die Eignung Eh-
renhafts als Nachfolger auf dem Exner-Lehrstuhl vom 3.3.1920. Siehe zu den Argumenten im Streit um
Ehrenhafts wissenschaftliche Leistungen Braunbeck 2003, 34–35.
26 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 640/4/5770, Bl. 1–9 : Beset-
zungsvorschlag für die nach Prof. Hofrat Dr. Franz Exner in Erledigung kommende ordentl. Lehrkanzel
der Physik vom 24.3.1920.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369