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Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932102
letztlich gefundene Kompromisslösung folgte den Vorschlägen Glöckels : Gustav Jäger
übernahm die Leitung des II. Physikalischen Instituts, Eduard Haschek wurde als au-
ßerordentlicher Professor zum Assistenten des Instituts berufen, dem wiederum ein
ordentlicher Assistent zugeordnet war. Das Institut unterstand damit einem Physiker,
der das Fach breit vertrat, ohne selbst aktiv in der Radioaktivitätsforschung tätig zu
sein. Die Ressourcen des I. und II. Physikalischen Instituts sowie des von Hans Thir-
ring und Friedrich Kottler geführten Instituts für Theoretische Physik – Räumlichkei-
ten, Apparaturen, Personal und Dotationen – wurden teilweise zugunsten des neuge-
schaffenen III. Physikalischen Instituts umverteilt, dessen Leitung Ehrenhaft über-
nahm.37 Gustav Jäger und Ernst Lecher, der Leiter des I. Physikalischen Instituts,
akzeptierten die getroffene Regelung, die letztlich zu Lasten ihrer Institute und zuguns-
ten von Ehrenhafts III. Physikalischen Institut ging. Ehrenhaft selbst berichtete dem
Ministerium, Jäger sei
»nicht der Mann des offenen Widerstandes […]. Ihm wäre es am liebsten, um aus dem Di-
lemma herauszukommen, wenn die Sache durch eine passive Rolle seinerseits, d.h. durch
Verfügungen des Staatsamtes gelöst würde, ein Standpunkt, den, wie ich glaube auch Lecher
sich zurechtgelegt zu haben scheint, wie aus seiner Äusserung gegen Sektionschef Kelle her-
vorgeht : ›Ich bin ein Beamter, schicken Sie einen Erlass‹«.38
Im Herbst 1920 wurde Ehrenhaft zum Vorstand des neu gegründeten III. Physikali-
schen Instituts ernannt. Bei seinen Kollegen machte er sich weiter unbeliebt, indem er
wiederholt zusätzliche Räume für sich beanspruchte.39 Die 1920 gefundene Regelung
blieb ein Stachel im Fleisch der Wiener Physikerschaft und bot wiederholt Anlass, um
über die immer knapper werdenden Ressourcen der Physikalischen Institute zu strei-
ten.40 Der Außenseiter Ehrenhaft erfüllte im Kreise der Exner-Schüler indes eine
37 Thirring übernahm die Lehrkanzel 1921, nachdem die Berufungsverhandlungen mit Schrödinger ge-
scheitert waren. Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 630/4/3737,
Bl. 2–3 : Wiederbesetzung der Lehrkanzel für theoretische Physik nach Prof. Dr. Gustav Jäger vom
25.2.1921. Kottler wurde 1923 außerordentlicher Professor am Institut für Theoretische Physik. Vgl.
ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 630/4/13382-I/2(1922), Bl. 10 : Ha-
mel an Ehrenhaft vom 4.12.1921 und Larmor an Ehrenhaft vom 27.1.1922.
38 ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 640/4/5770 (1920), Bl. 46 : Ehren-
haft an Glöckel vom 10.5.1920.
39 Vgl. RAC, RF, RG 12.1, Box 139, Folder 1, Bl. 17 : W.E. Tisdale : Log of Trip to Prague, Vienna and
Innsbruck vom 7.12.1926 ; RAC, RF, RG 1.1, Series 705D, Box 3, Folder 26 : Ehrenhaft an Mason vom
22.7.1930. Siehe auch ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 650/4 : Ehren-
haft an Dekanat der Philosophischen Fakultät vom 28.11.1931.
40 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 868/4G : Information für den
Herrn Bundesminister vom 13.1.1937.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369