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Das Zentrum (re-)formiert sich 115
reich das Mitgefühl.104 Schweden stand an der Spitze der Länder, die humanitäre Hilfe
leisteten. Hundert Professorenkinder aus Wien folgten 1920 einer Einladung, sich im
schwedischen Uppsala zu erholen.105 Auch in Großbritannien, den Niederlanden, den
USA und Argentinien bemühte man sich, mit Lebensmittelspenden oder Geld die
schlimmste Not der Wiener Professoren zu lindern.106 Der niederländische Physiker
Heike Kamerlingh Onnes hatte über die Kriegsjahre hinweg den Kontakt zum Institut
für Radiumforschung gehalten und spendete notleidenden Wiener Wissenschaftlern
und Wissenschaftlerinnen 3,7 Millionen Kronen aus einer privaten Sammlung.107
Der US-amerikanische Radiochemiker Samuel C. Lind, der vor dem Krieg am Ins-
titut für Radiumforschung geforscht und während des Krieges mit seinen ehemaligen
Wiener Kollegen weiter korrespondiert hatte, brachte die Ansichten vieler seiner
Landsleute auf den Punkt :
»[I]t seems to me a great pity that Austria should have to suffer through its unfortunate as-
sociation with Germany. It may well be that such serious injury has been done in the world
politics that some of the members will not be able to recover. […] I have the greatest sym-
pathy for Austria naturally, of any of the powers that were defeated in the War, and, while I
have just as much friendship and sympathy for my friends individually in Germany as before,
I can not find the same amount of sympathy for the German Government, for its military
power and mode of conducting the War ; nor do I feel that Germany has yet shown any
satisfactory evidence of a change in her purposes as a world power, or her mode of thinking.
This state of mind […] is not one that leads speedily to a restoration of conditions on a sound
basis.«108
Zur versöhnlichen Haltung trug die kollegiale Behandlung des britischen Physikers
Robert Lawson bei, der durch die Kriegswirren nicht mehr hatte ausreisen können und
am Institut für Radiumforschung geblieben war.109 Lawson arbeitete nach seiner
Rückkehr aus Wien an der Universität Sheffield und spielte eine Schlüsselrolle dabei,
die Radioaktivistengemeinschaft Österreichs in der englischsprachigen scientific com-
104 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 232 : Kamerlingh Onnes an Meyer vom 23.12.1919 ;
KVA, ASA, Serie E1, Bl. 27 : Wettstein an Arrhenius vom 27.4.1920.
105 Vgl. KVA, ASA, Serie E1, Bl. 6 : Ehrenhaft an Arrhenius vom 20.1.1920.
106 Vgl. UAW, Philosophische Fakultät, Sonderreihe, PH S 12 : Manuskript zur Lage an der Universität
Wien, undatiert.
107 Vgl. UAW, Akademischer Senat, Senats-Sonderreihe, Senat S 3 : Verwendung der Spende von Kamer-
lingh Onnes vom 16.1.1922.
108 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 16, Fiche 254 : Lind an Meyer vom 25.3.1921.
109 Vgl. CUL, RC, Add 7653, S 176 : Soddy an Rutherford vom 7.4.1919.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369