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Das Zentrum (re-)formiert sich 121
ein Gramm schweres Ionium-Thorium-Oxyd-Präparat nach Paris.135 In diesem Fall
ging es nicht darum, eine Kollegin bei der Klärung einer wissenschaftlichen Frage zu
unterstützen. Vielmehr erhoffte sich Meyer eine handfeste, wenngleich unentgeltliche
Kompensation für die Gefälligkeit. Tatsächlich erhielt das Institut für Radiumfor-
schung im Gegenzug ein starkes Poloniumpräparat aus Paris und, was langfristig noch
bedeutsamer war, die Zusage Curies, bei der Poloniumherstellung in Wien mit Rat
und Tat zur Seite zu stehen. In Erwartung der künftigen Hilfe aus Paris verwies Meyer
darauf, dass »eine Cession [des Wiener Präparats an das Laboratoire Curie, S. F.] […]
wohl nach unseren Statuten nicht möglich [ist], doch würden wir Ihnen das Präparat
leihweise überlassen und wenigstens solange ich hier etwas zu sagen habe, Sie nicht zur
Rückstellung mahnen«.136 Gegenüber Kollegen und Kolleginnen, die keine entsprechen-
den Gegenleistungen materieller oder immaterieller Art bieten konnten, lehnte Meyer
einen aushäusigen Verleih der wertvollen Muttersubstanzen mit Verweis auf die Statu-
ten rundweg ab.137
Bei den Zerfallsprodukten lagen die Dinge anders. Das am Institut befindliche Ra-
dium ermöglichte es, kontinuierlich Radiumemanation (Radon) zu entnehmen und
ins In- und Ausland zu versenden. Außerdem verfügte das Institut über eine Samm-
lung radioaktiver Gesteinsproben. Hatten vor dem Krieg vor allem Radioaktivisten aus
dem Deutschen Reich und der Österreichisch-Ungarischen Monarchie Radon und
Gesteinsproben aus Wien bezogen, so kamen nun vermehrt Anfragen aus den skandi-
navischen Ländern und weiterhin auch aus dem Deutschen Reich.138 Wie bei den
Muttersubstanzen war Meyer im Fall der weniger wertvollen Präparate vor allem dann
bereit zu helfen, wenn er sich von den Forschungsarbeiten der Kollegen etwas ver-
sprach. So bot er beispielsweise Hönigschmid bereitwillig seine Unterstützung an, um
die offene Frage der Wismut-Isotope zu klären :
»[I]ch gratuliere Dir herzlichst zu dem wichtigen Resultat am Wismut. Besonders, dass so-
wohl das Chlorid wie das Bromid den gleichen Wert geben, ist sehr vergewissernd, denn
nach den letzten Angaben […] Astons […] besteht ja Cl aus zwei Isotopen. […] Da könnte
einem Angst und Bang werden für alle Chlorid-Atomgewichtsbestimmungen, wenn nicht
etwa alles irdische Cl gleichartig zusammengesetzt sein sollte. Was die Frage nach Bi-Isoto-
pen anbetrifft, so bin ich bezüglich deren Existenz, aus Th stammend, sehr skeptisch […].
135 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 350 : Curie an Meyer vom 30.12.1925.
136 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 350 : Meyer an Curie vom 23.12.1925.
137 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 342 : Meyer an Sächsische Landeswetterwarte vom
9.9.1925 ; ebd., K 17, Fiche 275 : Meyer an Paneth vom 22.1.1934.
138 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 308 : Meyer an Siegbahn vom 10.12.1924 ; ebd., K
21, Fiche 344 : Meyer an Pettersson vom 11.2.1931.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369