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Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932134
Folglich drang er bei Marie Curie darauf, die Eichtaxen für die Belgier nicht zu schmal
zu bemessen, zumal es sich im Falle der Union Minière »um ein Geschäftsunterneh-
men [handelt], demgegenüber wohl ein höherer Betrag auch am Platze wäre«.195 Für
die Eichung wurden 100 US-Dollar erhoben, was in den frühen 1930er Jahren, als sich
die finanzielle Situation des Instituts für Radiumforschung massiv verschlechterte, eine
dringend benötigte Einnahmequelle darstellte.196
Nachdem das Institut für Radiumforschung die industriell-technische Beratung der
Union Minière eingestellt hatte, pflegte Meyer als Sekretär der Internationalen Radi-
umstandard-Kommission weiter regelmäßigen Kontakt nach Brüssel.197 Als Vermittler
zwischen Industrie, Wissenschaft und öffentlicher Hand suchte er seine Verbindungen
stets zum Vorteil seines Instituts wie auch der internationalen Radioaktivistengemein-
schaft zu nutzen. So bat er die Unternehmensleitung der Union Minière 1929, eine
größere Menge Radium bereitzustellen, um dessen Atomgewicht neu zu bestimmen.
Ähnlich wie vor dem Krieg war Hönigschmid in München für diese Aufgabe vorgese-
hen. Dennoch sollte auch das Wiener Institut nicht leer ausgehen : »[U]nser Institut
für Radiumforschung [rechnet] dabei darauf […], aus dem abzuscheidenden RaD
Poloniumausgangsmaterial zu erhalten.«198 Da die Radiumvorräte der Union Minière
zum Zeitpunkt der Anfrage nicht groß genug waren, wurde aus dem Projekt vorerst
nichts.199
Meyer trat 1930 erneut als Vermittler auf, diesmal für die öffentliche Hand. Auf
seine Intervention hin kaufte die Stadt Wien bei der Union Minière fünf Gramm
Radium für medizinische Zwecke. Um für den neuen Lehrstuhl seines schwedischen
Kollegen Hans Pettersson an der Göteborgs Högskola ein Radiumpräparat zu erwer-
ben, wandte er sich im selben Jahr abermals an die Brüsseler Unternehmensleitung.
Die Dankbarkeit der Belgier über Meyers »zu verschiedenen Anlässen gezeigte Liebens-
würdigkeit« ging so weit, dass sie ihm die angefragten 15 Milligramm Radium unent-
geltlich überlassen wollten. Pettersson könne das Präparat bis zur Beendigung seiner
Versuchsreihe behalten und es danach wieder zurücksenden.200 Erneut zeigt sich, wie-
viel Meyer daran lag, seinen Status als unabhängiger Wissenschaftler zu wahren. Er
schlug das belgische Angebot, die Präparate umsonst an Pettersson abzugeben, aus :
195 MC, ALC, Fiche 3865 : Meyer an Curie vom 24.1.1924.
196 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 351 : Meyer an Curie vom 11.1.1933.
197 Vgl. Brion/Moreau 2006, 175 ; Roqué 1997, 267–291
198 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 222 : Meyer an Hönigschmid vom 18.1.1929. Um der
Brüsseler Unternehmensleitung das Projekt schmackhaft zu machen, versprach Meyer, vor Lieferung des
Radiums die Wiener Ergebnisse der Ionium-Thorium-Bestimmung nach Brüssel zu senden.
199 Vgl. AR-AGR, UM, 259/1078 : Leemans an Lechien vom 15.2.1929.
200 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 344 : Union Minière an Meyer vom 22.1.1931.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369