Seite - 135 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Das Zentrum (re-)formiert sich 135
»Unter keinen Umständen darf die Möglichkeit eintreten, dass jemand sagen könnte, ich
hätte direkt oder indirekt für mich oder unser Institut Nutzen gezogen aus dem Kaufe, den
die Gemeinde Wien bei Ihnen gemacht hat. Wenn Sie aber bereit sind, die erwähnten 14,49
mg Ra zu demselben Preis von 50 $ pro 1 mg an unser Institut zu überlassen, den sie an
anderer Stelle gewähren konnten, so wären wir dafür sehr dankbar.«201
Der Bitte wurde umgehend entsprochen und Pettersson erwarb das Präparat zu einem
sehr vorteilhaften Preis.202 Aufgrund seiner guten Beziehungen zur Union Minière war
Meyer nie darauf angewiesen, mit den kanadischen Radiumproduzenten zu verhan-
deln, die seit 1932 in den Markt eintraten und die Union Minière kurz darauf als
Monopolist ablösten. Anders Curie, die sich mit der Unternehmensleitung in Brüssel
vor ihrem Tod überwarf und folglich auch in Kanada nach alternativen Radiumquellen
Ausschau hielt.203
Die Verbindungen nach Belgien waren wesentlich, um Wien als metrologisches
Zentrum wieder in den internationalen Fokus zu rücken. Doch die Ambitionen der
österreichischen Radioaktivisten reichten weit darüber hinaus. Sie griffen ihre Idee aus
der Vorkriegszeit auf, eine internationale Nomenklatur radioaktiver Elemente zu defi-
nieren. Bis in die späten 1930er Jahre fand die internationale Radioaktivistengemein-
schaft keine verbindlichen Regelungen, wie radioaktive Elemente und Zerfallspro-
dukte zu bezeichnen seien. Die Internationale Radiumstandard-Kommission hatte für
diese Aufgabe kein Mandat. Nach dem gescheiterten, für 1915 geplanten Internatio-
nalen Kongress für Radioaktivität und Elektronik wurde keine Veranstaltung organi-
siert, auf der die Kommission zur Klärung der Nomenklaturfragen hätte ermächtigt
werden können. Deswegen legten die Gremien, die sich während des Krieges und in
den Nachkriegsjahren auf nationalstaatlicher Ebene gebildet hatten, für ihren jeweili-
gen Sprachraum in den 1920er Jahren eine verbindliche wissenschaftliche Terminolo-
gie fest.204 1922 versuchten britische und französische Radioaktivistinnen und Radio-
aktivisten erstmals, zu einer einheitlichen Terminologie zu gelangen, wie Soddy seinem
Kollegen Rutherford berichtete :
201 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 344 : Meyer an Union Minière vom 26.1.1931.
202 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 344 : Pettersson an Meyer vom 1.2.1931.
203 Vgl. Vanderlinden 1990, 105 ; Caralp 1958, 108.
204 In Großbritannien war Soddy bereit, sich in einigen Punkten an der von Meyer und Schweidler im
Krieg vorgeschlagenen Nomenklatur zu orientieren. Vgl. CUL, RC, Add 7653, S 179 : Soddy an Ruth-
erford vom 22.5.1921. Für den französischsprachigen Raum hatte die »›Association Internationale‹ […]
schon vor längerer Zeit eine Nomenklatur-Kommission eingesetzt, die bereits bei der Arbeit ist und
über zum Teil recht einschneidende Änderungen […] beratet.« AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 10,
Fiche 166 : St. Meyer an R. J. Meyer vom 31.5.1924.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369