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Das Zentrum (re-)formiert sich 137
Nicht nur Meyer und Schweidler, sondern auch andere Mitglieder des Exner-Krei-
ses trugen durch Lehr- und Handbücher dazu bei, das physikalische Wissen ihrer Zeit
zu objektivieren. In ihren Artikeln behandelten sie einerseits Methoden, Verfahren
oder Formeln der Laborpraxis.211 Andererseits schrieben sie Überblicksartikel für die
damals gängigen Handbücher der Physik sowie Monographien, die den Erkenntnis-
stand ihres Faches zusammenfassten.212 Thirring, Kohlrausch und Benndorf waren als
Autoren in hochrangigen physikalischen Fachzeitschriften präsent, und ihre Beiträge
wurden relativ häufig zitiert.213 Daneben lieferten die Mitglieder des Exner-Kreises
eine Vielzahl (kern-)physikalischer Messdaten, die mit den Ergebnissen aus anderen
Laboratorien verglichen werden konnten.
Die Messdaten radioaktiver Zerfallsprozesse, die Laboratorien auf der ganzen Welt
erhoben, wurden nach dem Krieg allerdings nicht systematisch durch ein internatio-
nales Gremium zusammengefasst. Stattdessen wurden verbindliche radioaktive Zer-
fallskonstanten in den 1920er Jahren dezentral in den einzelnen Ländern gesammelt.
Grenzüberschreitende Datensammlungen gab es lediglich dort, wo die einstigen
Kriegsverbündeten zusammenarbeiteten. Die Union International de Physique et Chi-
mie (UIP/UIC), eine Unterorganisation des bereits erwähnten IRC, erstellte 1923 und
in zweiter Auflage 1929 die »Tables Internationales des Éléments Radioactifs«.214 Diese
Tabellen fassten das Datenmaterial aus französischen und englischsprachigen Labora-
torien zusammen.215 Selbst bei den aktiven Mitgliedern der UIP/UIC war das Projekt
umstritten. Curie weigerte sich daran mitzuarbeiten, da sie die zu erwartenden Schwie-
rigkeiten bei der Herstellung der Tabellen fürchtete. So gebe es zwar genügend Daten,
die in die Tabelle aufgenommen werden könnten, doch nicht genügend qualifiziertes
Personal, um das Material vor der Publikation kritisch zu prüfen.216
1922 unternahm die ebenfalls 1919 gegründete regierungsunabhängige Internatio-
nal Union of Pure and Applied Chemistry einen weiteren Vorstoß, die grenzüber-
schreitende Zusammenarbeit in den Naturwissenschaften zu stärken. Sie finanzierte
die Erstellung der sogenannten »International Critical Tables of Numerical Data,
Press und entwickelte sich zu einem Standardwerk, das 1951 neu aufgelegt wurde. Vgl. Rutherford/
Chadwick/Ellis 1930.
211 Vgl. Small 1986, 146.
212 Vgl. Crawford 1992a, 100.
213 Vgl. Tabelle 9 : Ranking of selected members of the Nobel population in east-central Europe by number
of publications in core journals, 1920–1929, sowie Tabelle 10 : Ranking of selected members of the
Nobel population in east-central Europe by number of citations in core journals, 1920–1929, zitiert bei
Crawford 1992a, 97–98. Siehe zu Hans Thirrings Publikationen Gorraiz 1995, 44–46.
214 Das IRC war 1919 auf französische Initiative hin gegründet worden. Vgl. Schreiber 1930, 18.
215 Vgl. Greenaway 1996, 36.
216 Vgl. MC, ALC, Fiche 3870 : Curie an Marie vom 12.2.1924.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369