Seite - 142 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932142
Es waren daher vornehmlich US-amerikanische Stiftungen, allen voran das 1923
durch den Industriellen John D. Rockefeller gegründete IEB (der späteren Rockefeller
Foundation), die sich in Österreich in der Wissenschaftsförderung engagierten.237 Ro-
ckefeller hatte seiner Stiftung annähernd 28 Millionen US-Dollar vermacht. Das Geld
sollte der Förderung und Weiterentwicklung des weltweiten Bildungswesens zugute
kommen. Ziel war es, damit einen Teil der Verwüstungen zu beseitigen, die der Welt-
krieg im internationalen Wissenschafts- und Bildungssystem hinterlassen hatte.238
Wickliffe Rose, der das IEB von dessen Gründung 1923 bis 1928 leitete, galt als spiri-
tus rector der frühen Förderungsstrategie des IEB.239 Sein großes Ziel bestand darin,
qua Erziehung die industrielle und agrarische Entwicklung in den neuen Staaten
Mittel- und Osteuropas zu fördern. Dabei setzte er auf die kleine, hoch gebildete Elite
in den betroffenen Ländern, denn er ging davon aus, dass Wissenschaftsförderung
durch Stiftungen nur auf diesem Wege einen spürbaren Effekt haben würde.
Als sich abzeichnete, dass das große Ziel auf kurze Sicht nicht erreichbar war, wurde
die Ausbildung künftiger Wissenschaftseliten zum Kernanliegen des IEB.240 Im Herbst
1925 fasste das Leitungsgremium seine Strategie folgendermaßen zusammen :
»In Europe, a new element enters, that of nationalism. Therefore, […] we ought to bear in
mind the promotion of science in various countries as it may have a bearing upon their edu-
cational system and on the spirit and temper of the people. […] It will, of course, not suffice
to find an institution of good equipment and with good financial backing even though it
may have fine scientific traditions behind it. Perhaps the most important factor of all is to
make sure of discovering those men in an institution which [sic !] really for the period of their
lives give it its scientific character.«241
In enger Zusammenarbeit mit dem National Research Council entwickelte Rose die
Idee, in Europa bereits bestehende naturwissenschaftliche Institutionen zu fördern,
statt wie in den USA neue Laboratorien zu errichten. Im Kern ging es darum, verschie-
dene regionale Zentren zur Ausbildung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses in
237 Siehe zum Stiftungswesen in den USA Coben 1979 und zum Förderprogramm des IEB ebd., 234–235.
238 Vgl. RAC, RF, RG 3, Series 915, Box 1, Folder 6 : The Rockefeller Foundation, Natural Sciences
– Pro-
gram and Policy
– Past program and proposed future program. Extract from agenda for special meeting
of trustees vom 11.4.1933.
239 Vgl. zu Rose Kevles 1995, 190–192 ; Kohler 1985, 76–77, 84–85, 94. Zum Engagement des IEB in der
Förderung von Physik und Chemie in den USA Kevles 1995, 149–150, und zur Stipendienvergabe an
junge Physiker seit 1923 ebd., 191–192, 201.
240 Vgl. Assmus 1993, 155 ; Weatherall 1941.
241 RAC, IEB, Series 1, Subseries 1, Box 24, Folder 343 : Officers Conference with Dr. Trowbridge vom
30.11.1925.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369