Seite - 154 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Bild der Seite - 154 -
Text der Seite - 154 -
Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932154
dieser sich 1928 um eine Vollprofessur für Physik an der Universität von Stockholm
bewarb, verhinderten einflussreiche Stimmen in Schweden und Dänemark, darunter
der Stockholmer Physiker Manne Siegbahn, seine Berufung.301 Curie war eine der we-
nigen, die Pettersson auf Bitten Meyers gegenüber dem IEB positiv begutachtete.302
Die Gräben zwischen den Parteien, britische, deutsche und skandinavische Radio-
aktivisten auf der einen Seite, französische und österreichische auf der anderen Seite,
waren bis in die 1930er Jahre zu spüren. Sie spiegelten sich selbst in der Nominierung
und Auswahl von Kandidaten für den Nobelpreis wider. 1934 wurde der Nobelpreis für
Physik nicht vergeben, weil man, wie Pettersson zu Recht vermutete, erst die Entwick-
lung der aktuellsten kernphysikalischen Forschung abzuwarten gedachte. Als mögliche
Kandidaten waren neben James Chadwick auch das Ehepaar Joliot-Curie im Gespräch.
Seinem Mentor Meyer versprach Pettersson : »Das wenige was ich tun kann um zu
verhindern dass man dem C[hadwick] allein einen Preis gibt und an die Pariser [sic !]
vorbeigeht, tue ich selbstverständlich. Aber die massgebenden Persönlichkeiten in
Stockholm und Upsala [sic !] stehen ganz im Banne der Cambridger.«303
Marie Curies positive Einschätzung der Wiener Resultate mag das Vertrauen der
Unterhändler des IEB in Hans Pettersson gestärkt haben. Ausschlaggebend für seine
Beurteilung in Paris und New York war sie aber nicht. Selbst in Zeiten, als sich fast die
gesamte internationale Physikergemeinschaft gegen die Wiener Gruppe stellte, hielten
Augustus Trowbridge und Wickliffe Rose weiter große Stücke auf ihren Stipendia-
ten.304 Ende 1926, als der Stern Petterssons und seiner Arbeitsgruppe unter dem Ein-
druck der Kontroverse bereits zu sinken begann, wurde Petterssons Stipendium um ein
weiteres Jahr verlängert.305
Der Stiftung ging es allerdings nicht ausschließlich darum, einen aussichtsreichen
Kandidaten zu fördern, sondern auch um die Weiterentwicklung der Wiener Wissen-
schaft. Unterdessen verschoben sich die Prämissen, unter denen Stiftungsgelder nach
Wien flossen. Der anfangs so stark betonte Aspekt, das Institut für Radiumforschung
als Ausbildungsstätte für den südost- und osteuropäischen Nachwuchs zu fördern, trat
zusehends in den Hintergrund. Denn bei den Unterhändlern des IEB verfestigte sich
allmählich der Eindruck, dass nicht nur das Institut, sondern ganz Wien im Hinblick
301 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 280–281 : Pettersson an Meyer vom 17. und
25.10.1928 sowie vom 3.11.1928.
302 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 350 : Meyer an Curie vom 30.10.1928.
303 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 284 : Pettersson an Meyer vom 23.11.1934.
304 Vgl. RAC, RF, RG 12.1, Box 139, Folder 3 : W.J. Robbins, Trip to Zurich, Vienna, Munich, and Stras-
bourg vom 13.11.1928.
305 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 267 : International Education Board an Meyer vom
6.12.1926.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369