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Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932160
daneben jedoch mit ähnlichen Messstationen in Nordschweden, Königsberg, Pots-
dam, Dublin und Amsterdam.331
Es bedurfte beträchtlicher finanzieller Unterstützung aus dem Ausland, um die
Atomzertrümmerungs- und die kosmische Höhenstrahlungsforschung, die beide in der
Radioaktivitätsforschung wurzelten, in Wien respektive Innsbruck zu etablieren. Das
IEB spielte hierbei eine Schlüsselrolle. Die Stiftung verfolgte eine ganz eigene Strategie,
um die Weiterentwicklung der Naturwissenschaften im kriegszerstörten Europa sicher-
zustellen. Im Fall der Atomzertrümmerungsforschung dienten die US-amerikanischen
Gelder dazu, Wien im Wettbewerb mit anderen Standorten zu stärken. Von der Kon-
kurrenz starker wissenschaftlicher »Gegner« versprach man sich in New York entschei-
dende Entwicklungsimpulse. Für die Entscheidungsträger des IEB war es daher sekun-
där, was die internationale scientific community von den Wiener Forschungsergebnis-
sen hielt. Vor diesem Hintergrund ist die von Roger H. Stuewer formulierte These zu
relativieren, wonach die Kontroverse mit dem Cavendish Laboratory den Ruf Wiens
ruiniert und das jahrelange »Investment« der Wiener Gruppe in die Atomzertrümme-
rungsforschung zerstört habe.332
Das große Vertrauen, das die Wiener Atomzertrümmerer ihren Apparaten entgegen-
brachten, mag dazu beigetragen haben, dass sie sich auf die Kontroverse mit Ruther-
fords Gruppe in Cambridge überhaupt einließen.333 Meyer hielt in der mitunter sehr
hitzig geführten Debatte stets seine schützende Hand über die Gruppe und verteidigte
ihre Vorgehensweise gegen seine britischen Kollegen.334 Entscheidend war aber, welche
Schlüsse man in Wien und Cambridge aus der Kontroverse für die weitere Forschungs-
arbeit zog.
In Cambridge suchte Rutherford verstärkt die Zusammenarbeit mit theoretisch ar-
beitenden Physikern, um einen Ausweg aus dem Dilemma widersprüchlicher Messer-
gebnisse zu finden.335 Auch in Berlin wurden die laufenden Versuche von intensiven
theoretischen Diskussionen begleitet.336 In Paris begann Frédéric Joliot 1933 ebenfalls
331 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 13, Fiche 205 : Hess an Jones vom 4.6.1932. Darüber hinaus
bestand eine Zusammenarbeit mit Erich Regener in Stuttgart. Vgl. RAC, RF, RG 1.1, Series 705D, Box
3, Folder 20 : Hess an Jones vom 26.7.1933. Besonders eng gestaltete sich die Kooperation mit dem
Assistenten Rieder aus Wien, der eine Wilsonkammer in Hess’ Labor installierte. Vgl. RAC, RF, RG 1.1,
Series 705D, Box 3, Folder 20 : Hess an Rockefeller Foundation vom 29.10.1934.
332 Vgl. zur Zerstörung von Petterssons »Investment« in die Atomzertrümmerungsforschung durch die ver-
lorene Kontroverse mit Chadwick/Rutherford Stuewer 1985, 290, 293.
333 Vgl. Crawford 1992a, 101–102.
334 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 18, Fiche 294 : Meyer an Rutherford vom 24.7.1924 ; CAC,
MTNR 5/12/3, Bl. 72–73 : Meyer an Meitner vom 13.1.1928.
335 Vgl. Hughes 1993.
336 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 309 : Smekal an Meyer vom 15.1.1929.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369