Seite - 162 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932162
Laß regnen, Herr, Pech, Feuer und Schwofel !
Vertilg ihn doch, den ganzen Pofel ! […]«339
Nicht nur Schweidler und sein Innsbrucker Kollege Lerch pflegten ein strikt positivis-
tisches Weltbild. Auch andere Schüler Franz Serafin Exners wie Benndorf teilten seine
Vorbehalte gegen die sich dynamisch entwickelnde physikalische Theorie.340 Sogar
Erwin Schrödinger, der zur jüngeren Generation der Exner-Schüler zählte und selbst
wichtige Beiträge zur theoretischen Physik leistete, lästerte über eine neue Generation,
die bereit war, über Jahrzehnte gewachsene theoretische Gedankengebäude der Physik
über den Haufen zu werfen, »oft nur um ein kleines Häufchen voll neuer Tatsachen,
vor denen sie sich nicht anders Rat wissen, bequemer ›erklären‹ zu können«.341
Meyer äußerte sich nur selten zu physikalisch-theoretischen Fragestellungen.342 Ne-
gative Einschätzungen wie die hier zitierten finden sich in seiner Korrespondenz nicht ;
es gibt allerdings auch keine Hinweise, dass er aktiv darauf gedrungen hätte, theoreti-
sche Ansätze in die Atomzertrümmerungsforschung zu integrieren. Auch die in Wien
herrschenden äußeren Bedingungen standen einer engen Kooperation zwischen Theo-
retikern und experimentell arbeitenden Physikern entgegen. Das Institut für Theoreti-
sche Physik unter der Leitung Hans Thirrings führte materiell wie personell ein Schat-
tendasein. Viele ausländische Physiker hielten zwar Thirrings Assistent Friedrich
Kottler für bestens mit der Relativitäts- und Quantentheorie vertraut und bescheinig-
ten ihm anlässlich seiner Berufung, eigenständig zu dem Gebiet beigetragen zu ha-
ben.343 Doch lässt sich eine enge Zusammenarbeit mit den Wiener Atomzertrümme-
rern anhand gemeinsamer Publikationen nicht nachweisen.
Kohlrausch in Graz war einer der wenigen in Österreich tätigen Radioaktivisten, der
offen beklagte, wie schwierig es sei
»als Einzelner gegen die Konkurrenz in großen Universitätsstädten aufzukommen, wo theo-
retische Physiker, experimentelle Physiker, Mathematiker und Chemiker sich zusammentun,
339 Zitiert bei Höflechner 1994, 65. Auch unter schwedischen Physikern der Universität Uppsala wurde
die Relativitätstheorie zurückhaltend aufgenommen. Vgl. Gieser 1993, 26, 32. Zu ähnlichen Positionen
unter den Vertretern der »Deutschen Physik« Eckert 2007 ; Richter 1980.
340 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 10, Fiche 158 : Benndorf an Meyer (gegen die »unsympathi-
sche Relativitätstheorie«) vom 11.2.1941.
341 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 303 : Schrödinger an Meyer vom 29.11.1926.
342 In einem Brief an seinen Freund Hönigschmid betonte Meyer allerdings einmal, dass in der Frage, wel-
cher Wert für das Atomgewicht des Radiums korrekt sei, das Experiment entscheide und nicht die The-
orie. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 225 : Meyer an Hönigschmid vom 25.2.1937.
343 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 630/4/13382-I/2 (1922), Bl. 9 :
Herglotz an Ehrenhaft vom 8.1.1922.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369