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Das Zentrum behauptet sich 183
verfolgt. Seiner Meinung nach war die Kommission seit dem Weltkrieg als internatio-
nales Gremium »tot«, weshalb er sich Zug um Zug aus der Kommission zurückzog.22
Curies Tod und der Rückzug Soddys machten die Ernennung neuer Mitglieder not-
wendig. Nachdem Hönigschmid zugewählt worden war, gehörten ihr seit 1934 drei
deutsche Vertreter an.23 Deutsche Wissenschaftler kehrten seit den späten 1920er
Jahren in die internationalen Wissenschaftsinstitutionen zurück, und dies spiegelte sich
auch in den neuen Machtverhältnissen einer erweiterten Radiumstandard-Kommis-
sion wider. Irène Joliot-Curie und ihr Ehemann Frédéric Joliot rückten für Marie
Curie in die Kommission nach.24 Die Belgier entsandten Auguste Piccard, Professor
für Physik an der Université Libre de Bruxelles, der seit langem mit dem Industriela-
boratorium der Union Minière kooperierte. Schließlich wurde noch James Chadwick
neues Mitglied der Kommission, der bereits vor dem Krieg für Ernest Rutherford die
einfache γ-Strahlen-Methode zum Vergleich verschiedener Radiumstandards entwi-
ckelt hatte.25
Gegen Piccards Mitgliedschaft hatte sich bislang vor allem Marie Curie ausgespro-
chen, die Vorbehalte gegen die belgischen Messmethoden hatte.26 Nach ihrem Tod
wurde Piccard nun in die Kommission aufgenommen, und zwar vor allem deswegen,
weil er an der Quelle zu Belgiens kolonialen Radiumvorräten saß, wie Meyer gegen-
über seinem französischen Kommissionskollegen André Debierne einräumte :
»Die Wahl Prof. Piccards […] empfiehlt sich besonders aus dem Grunde, weil Belgien infolge
der für die Union Minière du Haut Katanga durchgeführte Neuherstellung einer grossen
22 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 18, Fiche 296 : Soddy an Meyer vom 28.4.1930 ; ebd., K 19,
Fiche 312 : Soddy an Meyer vom 6.2.1931.
23 1924 war Hans Geiger, der Leiter des Laboratoriums für Radioaktivität der PTR als Nachfolger von
Hans Geitel auf Meyers Vorschlag zum zweiten deutschen Vertreter neben dem Gründungsmitglied Otto
Hahn in die Kommission berufen worden.
24 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 352 : Joliot-Curie an Meyer vom 22.12.1934. Meyer
stand als Sekretär der Kommission seit den frühen 1930er Jahren betreffend der Zusammenstellung der
Tabellen radioaktiver Zerfallskonstanten in Briefkontakt mit Irène Joliot-Curie. Vgl. MC, ALC, Fiche
3963 : Joliot-Curie an Meyer vom 14.11.1930.
25 Vgl. Brown 1997, 10–11. Die Internationale Radiumstandard-Kommission bestand 1934 aus folgenden
Mitgliedern : James Chadwick (Cambridge, Großbritannien), André Debierne (Paris, Frankreich),
Arthur S. Eve (Montreal, Kanada), Hans Geiger (Tübingen, Deutsches Reich), Otto Hönigschmid
(München, Deutsches Reich), Otto Hahn (Berlin, Deutsches Reich), Irène Joliot-Curie and Frédéric
Joliot (Paris, Frankreich), Samuel C. Lind (Minneapolis, USA), Egon von Schweidler (Wien, Österreich),
Auguste Piccard (Brüssel, Belgien) sowie Stefan Meyer (Wien, Österreich) als Sekretär der Kommission
und Ernest Rutherford als ihr Präsident. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 352 : Meyer
an Joliot-Curie vom 7.12.1934.
26 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 224 : Meyer an Hönigschmid vom 16.7.1934 ; AR-
AGR, UM, 259/1078 : Lecointe an Joliot-Curie vom 5.2.1934.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369