Seite - 184 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung in Österreich,
1932–1938184
Anzahl primärer Radiumetalons durch Prof. Hönigschmid derzeit und für lange hinaus die
Versorgung mit solchen Standardpräparaten bestreiten kann und ein Vertreter unserer Com-
mission dort Erleichterungen des Bezuges zu vermitteln imstande sein wird.«27
Piccards Wahl war alternativlos, denn keines der anderen Kommissionsmitglieder war
in der Lage, entsprechende Mengen Radium zu beschaffen, um daraus weitere Stan-
dardpräparate herzustellen. Die Internationale Radiumstandard-Kommission wurde
bis 1938 nur noch einmal aktiv, als sie dem National Bureau of Standards in Washing-
ton D.C. neue sekundäre Hönigschmid-Standards ausstellte.28 Andere Aufgaben, wie
die Erstellung neuer Tabellen der radioaktiven Zerfallskonstanten, die von der UIC
wiederholt eingefordert worden war, oder die Neuregelung der zunehmend unüber-
sichtlichen Nomenklatur, ruhten. Dies war vor allem eine Folge der epistemischen
Umbrüche seit den frühen 1930er Jahren.
Die Kernforschung entwickelte sich stürmisch weiter, wobei die künstliche Radio-
aktivität allmählich die natürliche verdrängte, und zwar sowohl in der Funktion als
Strahlungsquelle wie auch als Objekt der Forschung. Vor diesem Hintergrund schien
es fast unmöglich, zuverlässige Tabellen radioaktiver Zerfallskonstanten zu erstellen,
wie Meyer gegenüber Irène Joliot-Curie zu bedenken gab : »[D]ie Flut von Arbeiten,
besonders über die künstlich aktiven Stoffe, war derart groß, dass immer noch ehe die
Tabellen hätten veröffentlicht sein können, sie auch schon überholt gewesen wären.«29
Die Kommission zögerte daher, das Projekt in die Wege zu leiten. Otto Hahn ergriff
schließlich die Initiative. Obzwar er der Kommission als Mitglied angehörte, erstellte
er im Auftrag der DCG bis 1938 den sogenannten Isotopenbericht, der den damaligen
Stand der Isotopenlehre abbildete. Die Ergebnisse dieses Forschungszweiges beruhten
zunehmend auf rein physikalischen Methoden und wurden seit 1940 von Otto Hahn,
Siegfried Flügge und Josef Mattauch herausgegeben, ab 1941 von Mattauch und
Flügge allein. 1942 schließlich gaben beide das durch die Kernforschung enorm erwei-
terte Datenmaterial in Buchform mit dem Titel »Kernphysikalische Tabellen« her-
aus.30
Nicht nur die Radioaktivitätsforschung wandelte sich rapide. Auch die Internatio-
nale Radiumstandard-Kommission musste sich personell neu aufstellen. Mit dem Ab-
leben Rutherfords im Oktober 1937 verlor die Kommission ihren langjährigen Präsi-
denten und die Mitglieder konnten sich vorerst auf keinen Nachfolger einigen.31 Erst
27 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 352 : Meyer an Debierne vom 26.10.1934.
28 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 352 : Meyer an Joliot-Curie vom 15.1.1936.
29 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 353 : Meyer an Joliot-Curie vom 25.2.1938.
30 Vgl. Hahn 1962, 66.
31 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 353 : Debierne an Meyer vom 28.1.1938.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369