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Das Zentrum behauptet sich 189
Auch die Gruppe um Enrico Fermi in Italien bemühte sich seit Mitte der 1930er
Jahre intensiv darum, Spender für den Bau eines leistungsfähigen Teilchenbeschleuni-
gers zu finden und die faschistische Regierung Benito Mussolinis für das Projekt zu
interessieren. Beides misslang jedoch.51 In Kanada verhinderten der Beginn des Zwei-
ten Weltkriegs und Budgetengpässe die Errichtung eines Teilchenbeschleunigers, ob-
wohl dies bereits seit Mitte der 1930er Jahre projektiert war.52 Mehr Erfolg hatte die
Gruppe um Yoshio Nishina am größten staatlich geförderten Zentrum Japans für na-
turwissenschaftliche Forschung (Riken), die seit 1935 den Bau eines Zyklotrons sowie
einer Hochspannungsanlage mit der Kapazität von einer Million Volt plante.53 In
Stockholm baute Manne Siegbahn sein Labor mit Geldern der Wallenberg Stiftung seit
Mitte der 1930er Jahre aus und errichtete bis 1938 mit staatlicher Unterstützung ein
Zyklotron, das später durch ein Gerät größerer Leistung ersetzt wurde.54 Niels Bohr
erhielt die mit Abstand größte Förderung der Rockefeller Foundation um in Kopenha-
gen ein Zyklotron zu bauen, das 1938 bereits eine Neutronenausbeute wie das Äqui-
valent eines Kilogramms Radium einbrachte.55
Im Deutschen Reich wurden Planung und Bau von Beschleunigern durch die
schwierige Finanzlage des Staates in den frühen 1930er Jahren erschwert. Die beiden
frühesten Projekte ließen sich nur durch private Spenden realisieren. Die Rockefeller
Foundation stellte dem KWI für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin
1932 10.000 Reichsmark für die Anschaffung eines Hochspannungserzeugers zur Ver-
fügung, der dort zu einem kleinen Beschleuniger ausgebaut wurde. Lise Meitner am
Berliner KWI für Chemie erhielt zum selben Zweck einen Betrag in ähnlicher Höhe aus
51 Vgl. Battimelli 2003.
52 Vgl. Sargent 1983, 238.
53 Vgl. Kim 1995, 388, 399. Das Riken (Kurzform von Rikagaku Kenkyusho) wurde 1917 als staatliches
Forschungszentrum für die Naturwissenschaften gegründet. Es wurde durch eine Spende des Kaiser-
hauses, staatliche Unterstützungszahlungen und private Spenden finanziert. Seit 1922 stand wissenschaft-
lichen Einzelpersönlichkeiten die Möglichkeit offen, mit Geldern des Riken an allen Universitäten Japans
und im Forschungszentrum eigene Forschungslaboratorien zu begründen. Es entstanden daraufhin 14
solcher Labors. Vgl. http://www.riken.go.jp/engn/r-world/riken/history/zaidan/index.html (Zugriff vom
25.08.2013).
54 Das erste Stockholmer Zyklotron konnte Deuteronen auf eine Geschwindigkeit von fünf bis sechs MeV
beschleunigen, das spätere hatte eine Endenergie von bis zu 30 MeV. http://nobelprize.org/nobel_prizes/
physics/laureates/1924/siegbahn-bio.html (Zugriff vom 25.08.2013). Siehe zum Engagement der Wal-
lenberg Stiftung Siegbahn Hoppe/Nylander/Olsson 1993, 183–187 ; Kaiserfeld 1993, 309. Insgesamt
stiegen staatliche Zuschüsse für Forschung und Entwicklung in Schweden während der 1930er Jahre
äußerst moderat beziehungsweise blieben konstant. Seit 1935 überholten Investitionen in private For-
schungsinstitutionen die staatlichen Ausgaben. Vgl. Elzinga 1993, 203.
55 Vgl. NBA, GH : Bohr, Niels, Film 2, Section 4 : Bohr an Hevesy vom 15.11.1938. Zur Finanzierung des
Zyklotrons siehe Aaserud 1990, 239–242.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369