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Das Zentrum behauptet sich 195
In Wien bestimmten die neuen, starken Poloniumpräparate die Forschungsarbeit
maßgeblich. Nachdem bei der Atomzertrümmerung des schweren Elements Xenon
Atomfragmente aufgefunden worden waren, musste die bisherige Arbeitsweise modifi-
ziert werden, die sich auf den Nachweis der Bruchstücke durch Szintillationen gestützt
hatte. Hans Pettersson und Gerhard Kirsch widmeten sich gemeinsam mit anderen
dem spektroskopischen Nachweis überbleibender Kernreste, der »Atomkrüppel«, im
Zertrümmerungsprozess.82 Ihre quarz-spektrographischen Untersuchungen dienten
dazu, die Beimengung fester Elemente in geringsten Mengen zu anderen Elementen zu
bestimmen. Ein Mitarbeiter der Rockefeller Foundation, der das Institut für Radium-
forschung zu Beginn des Jahres 1934 aufsuchte, berichtete nach New York, dass Pet-
terssons Arbeitsgruppe mittels einer abgewandelten Geißler’schen Röhre das
Funkenspek trum von Radium detailgenau aufgenommen habe. In Kooperation mit
einem Assistent Heinrich Maches habe Pettersson zudem fast das komplette Emanati-
onsspektrum von Radium aufgezeichnet und plane nun, diese Arbeit für Polonium zu
wiederholen. Schließlich sollte eine Radiumprobe, die stark durch Bariumbeimengun-
gen verunreinigt war, auf Xenon hin spektrographisch untersucht werden.83 Außerdem
quantifizierte Pettersson die Kernzertrümmerung der gasförmigen Elemente Neon,
Argon, Krypton, Schwefel und Chlor an α-Teilchen aus einer starken Poloniumquelle
mittels des Stetter’schen Röhrenelektrometers. Kirsch bestimmte mithilfe eines Stoß-
ioni sationszählers die Menge an Wasserstoffteilchen aus dem Beschuss von Paraffin.
Daneben untersuchte er verschiedene Gruppen von Atomfragmenten aus Beryllium
und Aluminium, die mit α-Teilchen bombardiert worden waren und bestätigte die
Ergebnisse für Aluminium von Heinz Pose. Auch die Messmethoden wurden stetig
weiterentwickelt. Stetter verbesserte das Massenspektrometer zur Aufzeichnung atoma-
rer Fragmente. Zudem untersuchte er den Einfluss der Gase in der Wilsonkammer auf
die Zahl der gezählten Teilchen. Sein Hauptziel bestand indes darin, das Röhrenelek-
tro meter für Atomzertrümmerungen mit Radium C inkrementell weiterzuentwi-
ckeln.84
Die Wiener Poloniumpräparate wurden verstärkt »in den Dienst des Neutrons ge-
stellt«, nachdem die Versuche des Ehepaars Joliot-Curie bekannt geworden waren.85
Mehrere Wiener Arbeiten beschäftigten sich mit der Anregung von Neutronenemissi-
82 Vgl. RAC, RF, RG 1.1, Series 705D, Box 3, Folder 25 : Investigations by H. Pettersson and collaborators
vom 25.4.1933.
83 Vgl. RAC, RF, RG 1.1, Series 705D, Box 3, Folder 25 : Diary of H.M.M. (Paris), Vienna, vom 19.1.1934.
84 Vgl. RAC, RF, RG 1.1, Series 705D, Box 3, Folder 25 : Hans Pettersson, Report on the investigations
on artificial atomic disintegration, January 1931-March 1932 vom 4.4.1932 ; ebd., Investigations by G.
Stetter and collaborators vom 25.4.1933 ; ebd., Pettersson an Jones vom 16.6.1933.
85 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 175 : Blau an Meyer vom 18.2.1933.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369