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Das Zentrum behauptet sich 201
Ȇber die photographischen Arbeiten haben die hiesigen Institutsmitglieder konferiert und
sind, […] der Ansicht, dass kein Anlass dazu vorliege, die Fragen ausserhalb Wien’s untersu-
chen zu lassen, solange hier dazu die Möglichkeit besteht und die Arbeitskräfte vorhanden
sind. Frl. Wambacher hat schon ziemlich viel Arbeit hineingesteckt und es schiene mir nicht
billig, wenn man sie um die Früchte ihrer Tätigkeit bringen wollte, eigentlich bloss deshalb,
weil man sich jetzt auch anderweitig für die Sachen interessiert. Ich meine daher, dass es am
besten wäre Prof. Eggert [den Leiter des Wissenschaftlichen Zentrallabors der Filmfabrik
Wolfen, S. F.] dahin zu informieren, dass hier allerlei auf dem Gebiet in Arbeit sei und dass
es sich naturgemäß empfiehlt erst die weiteren hiesigen Ergebnisse abzuwarten.«111
Was letztlich ausschlaggebend dafür war, dass Blau ihre vielversprechende Zusammen-
arbeit mit der Filmfabrik Wolfen in den 1930er Jahren auf ein Minimum reduzierte,
geht aus den Quellen nicht hervor. Der Wissenschaftshistoriker Peter Galison vermu-
tete, dass die schlechte Qualität der Wolfener Platten Blau dazu bewog, sich nach Al-
ternativen umzusehen.112 Möglicherweise verlor aber auch die Leitung des Wissen-
schaftlichen Zentrallabors in Wolfen das Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit,
da Blau als Einzelkämpferin ohne materiellen und ideellen Rückhalt durch ihr Institut
keine besonders attraktive Kooperationspartnerin (mehr) war. Zu Blaus Glück erklärte
sich das britische Fotounternehmen Ilford in London bereit, die Emulsionen der Ver-
suchsplatten dicker zu gießen, damit die Kernbahnspuren dreidimensional aufgezeich-
net werden konnten.113 Blau und Wambacher verwendeten daher ähnlich wie ihre
britischen Kollegen seit Mitte der 1930er Jahre bevorzugt Ilford-R2-Platten. Blau
vertiefte ihre Bindung an das britische Unternehmen, indem sie 1936 einen einjähri-
gen Werkvertrag mit Ilford einging. Die Arbeit für Ilford bildete eine willkommen
Einkommensquelle, nachdem ihr Stipendium der schwedischen Stifterfamilie Wallen-
berg, das Pettersson vermittelt hatte, nicht verlängert worden war.114 Der Kontakt zum
Wolfener Zentrallabor brach daraufhin zwar nicht ab, er war aber weniger intensiv als
in den Jahren zuvor.115
111 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 175 : Meyer an Blau vom 14.2.1933.
112 Vgl. Galison 1997a, 151.
113 Zu den besseren Ilford-Platten siehe Powell/Fowler/Perkins 1959, 19, 21–22.
114 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 284 : Pettersson an Meyer vom 29.4.1936. Der
Vertrag lief 1936 aus und wurde nicht verlängert. Vgl. GUB, Hans Pettersson : Karlik an Pettersson,
undatiert [1937].
115 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 2 : Eggert an Wambacher vom
3.6.1937. Parallel zu den Ilford-Platten exponierten Blau und Wambacher weiterhin Agfa-Zahnfilmplat-
ten, allerdings ohne Ergebnis. Vgl. ebd., Wambacher an Eggert vom 29.5.1937, und Eggert an Wamba-
cher vom 4.8.1939.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369