Seite - 203 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Das Zentrum behauptet sich 203
per nach seiner Promotion 1934 als Assistent Erich Regeners Kernreaktionen in foto-
grafischen Platten untersuchte.119 Schopper verwendete wie Blau und Wambacher
zunächst Ilford-Platten und experimentierte daneben mit dem im Handel erhältlichen
Agfa-Zahnfilm sowie mit Agfa-Autolith-Platten. Schließlich erhielt er von Eggert Spe-
zialplatten mit einer Dicke von 60 bis 300 μ mit hohem Silbergehalt, die eigens zu
diesem Zweck gegossen worden waren.120 1937 wechselte Schopper als Abteilungslei-
ter in das Wissenschaftliche Zentrallabor der Filmfabrik Wolfen, wo unter seiner Ägide
fortan systematische Versuchsreihen stattfanden, um Korpuskularstrahlen in fotografi-
schen Platten zu registrieren.121
Blau und Wambacher waren weder in das wissenschaftlich-industrielle Netzwerk
um Schopper, Regener und Eggert integriert, noch standen sie in direktem wissen-
schaftlichen Austausch mit ihnen. Obwohl die Zahl derer überschaubar blieb, die im
deutschsprachigen Raum mit der fotografischen Methode arbeiteten, herrschte unter
den Beteiligten ein Klima der Konkurrenz. Dies galt insbesondere für die Höhenstrah-
lungsforschung, die sich in den 1930er Jahren gerade erst als eigenständiges Feld for-
mierte.122 Im Wettlauf um neue Erkenntnisse griff man im Deutschen Reich und in
Österreich daher auf die jeweils eigenen, unterschiedlich tragfähigen Netzwerke zu-
rück. Während Schopper seine kernphysikalischen Untersuchungen in Stuttgart und
später in Wolfen mit Unterstützung seines Chefs Erich Regener und des Wolfener
Forschungsleiters Eggert auch unter schwierigen politischen Verhältnissen fortführte,
wurde es für Blau immer schwieriger die Ressourcen aufzutreiben, die sie für ihre Ar-
beit benötigte.123
119 Regener befasste sich seit 1928 intensiv mit der Erforschung kosmischer Strahlung. Er entwickelte in
seinem Stuttgarter Institut und im Bodensee-Laboratorium, der Außenstelle des Instituts in Friedrichs-
hafen, Ballons zur Messung der Strahlung bis in Höhen über 30 Kilometer. Zudem versenkte er von
seinem Forschungsschiff »Undula« aus Messcontainer im Bodensee, um kosmische Strahlung zu regist-
rieren. Vgl. Freytag 2007, 235. Siehe zu Schopper Groenevelt/Müllner/Schmidt-Böcking/Stelzer 2009,
114.
120 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 2 : Schopper an Eggert vom
18.1.1936.
121 Im Bemühen, die Qualität der Emulsionen für kernphysikalische Zwecke zu verbessern, spielten der
Filmfabrik Wolfen die antijüdischen Maßnahmen des NS-Regimes in die Hände. Erwin Schopper geriet
nämlich wegen seiner privaten Kontakte zur Familie Regener, insbesondere zu Erich Regeners russisch-
jüdischer Frau, in Konflikt mit der SA. Seine Dienstzeit am Stuttgarter Institut wurde im März 1937
nicht verlängert, so dass er als Abteilungsleiter nach Wolfen wechselte. Regener selbst wurde nach mas-
siven antisemitischen Angriffen von Vertretern der »Deutschen Physik« in den Ruhestand versetzt. Vgl.
Freytag 2007, 237–239.
122 Vgl. Cirkel-Bartelt 2012 ; Cirkel-Bartelt 2008.
123 Schopper bezog die zur Messung von Neutronen benötigten radioaktiven Strahlungsquellen aus Berlin,
wohin sein Chef Erich Regener beste Kontakte unterhielt. Zu Regeners Berliner Freunden und Bekann-
ten gehörten neben Max Planck auch Albert Einstein, Lise Meitner, Otto Hahn, Max von Laue und
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369