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Das Zentrum behauptet sich 205
»Wegen eines Stratosphärenaufstieges haben wir uns an Prof. Regener gewendet, so wie […]
[Sie] es uns geraten haben. Wir bekamen erst sehr lange keine Antwort u. dann eine ableh-
nende mit der Begründung, dass ein Assistent Prof. Regeners gerade dasselbe gemacht hat u.
eine vorläufige Mitteilung veröffentlicht hat, die demnächst erscheinen wird. Wir wissen
aber weder was er gefunden, noch wo er veröffentlichen wird.«128
Blau wandte sich nach der Abfuhr Regeners an Fritz Paneth, der in der Vorkriegszeit
Assistent am Institut für Radiumforschung gewesen war. Paneth arbeitete seit seiner
Emigration aus dem Deutschen Reich 1933 am Imperial College in London und hatte
in Kooperation mit britischen Kollegen für seine Höhenstrahlungsversuche schon
mehrere Ballonflüge durchgeführt.129 Er kannte Regeners Unwillen zu kooperieren aus
eigener Erfahrung und sagte umgehend seine Unterstützung zu.130
Unterdessen war Blau mit Wambacher in einen heftigen Streit um die Autorschaft
ihrer gemeinsamen Entdeckung geraten.131 Einige Wiener Kolleginnen und Kollegen,
die mit Blau sympathisierten, setzten sich dafür ein, dass sie ihre Datensammlung auf
Ilford-Platten unabhängig von Wambacher im Ausland fortsetzen konnte. Die norwe-
gische Radiochemikerin Ellen Gleditsch, deren Assistent Eric Foeyn wenige Jahre zu-
vor am Institut für Radiumforschung gearbeitet hatte und die selbst auch in Wien
Gastforscherin gewesen war, bot Blau einen Arbeitsplatz in ihrem Osloer Labor an.
Unterdessen geriet der persönliche Konflikt zwischen den beiden Frauen immer stärker
in den Bann der politischen Ereignisse des Jahres 1938. Wambacher machte wie ihre
Kollegen Stetter, Kirsch und Ortner keinen Hehl aus ihrer Sympathie für den Natio-
nalsozialismus und begrüßte den »Anschluss« ihres Landes an das Deutsche Reich im
März 1938 überschwänglich. Sie hoffte, die neuen politischen Verhältnisse nutzen zu
können, um sich ihrer einstigen Mentorin endgültig zu entledigen. Blau entkam als
Jüdin der nationalsozialistischen Verfolgung nur knapp. Am Tag des Einmarsches deut-
scher Truppen in Österreich, dem 11. März 1938, floh sie nach Norwegen.132 Sämtli-
che Labortagebücher, in denen Blau die Messdaten vergangener Versuche festgehalten
hatte, wurden von der Gestapo beschlagnahmt.133 Paneth gelang es noch einige Mo-
128 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 175 : Blau an Meyer vom 22.7.1937.
129 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 175 : Blau an Meyer vom 8.9.1937. Paneth erhielt
1947 erneut ein Stipendium für die Arbeit mit der fotografischen Methode. Vgl. CAC, Joseph Rotblat
Papers, RTBT B/69 : Paneth an Rotblat vom 27.6.1947.
130 Vgl. AMPG, III. Abt., Rep. 45 NL Paneth, Nr. 77, 3, Bl. 21 : Paneth an Meyer vom 23.9.1937.
131 Der Streit wurde in der Literatur an verschiedenen Stellen beschrieben, weshalb an dieser Stelle auf eine
ausführliche Darstellung verzichtet wird. Vgl. beispielsweise Rentetzi 2007, Chapter 7.
132 Vgl. ADM, NL Gerlach, NL 80/127-01 : Meitner an Hahn vom 18.9.1938.
133 Vgl. Galison 1997b, 46.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369