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Das Zentrum verliert den Anschluss 209
für Radiumforschung im Jahr 1930 den Anfang vom Ende der Wiener Atomzertrüm-
merungsforschung.140 Von einem Rückzug zu diesem frühen Zeitpunkt kann jedoch
keine Rede sein. Die Stiftung stellte ihre Förderung erst 1936 ein. Das irreführende
Bild rührt daher, dass die meisten Studien auf das Institut für Radiumforschung fokus-
sieren, ohne die komplexe Einbettung der Kernforschung in die Wiener Institutsland-
schaft näher zu untersuchen.
Unbestritten ist, dass das Pariser Büro des IEB Meyer seit 1928 wiederholt auffor-
derte, den Staat für den Unterhalt seines Instituts stärker in die Pflicht zu nehmen. Das
Institut für Radiumforschung war zwar der Akademie der Wissenschaften zugehörig,
doch seit seiner Gründung trug das Bundesministerium für Unterricht die Kosten des
laufenden Betriebes. Sollte das Ministerium die Forschungsarbeit aber weiter so knau-
serig fördern wie bisher, drohten die Mitarbeiter des IEB, werde die Stiftung ihre
Zahlungen einstellen. Bei den Verhandlungen mit dem Ministerium wusste Meyer das
Argument der Amerikaner geschickt zu nutzen. Beeindruckt von dem ausländischen
Engagement, gewährte es dem Institut für Radiumforschung seit 1928 mehrere Son-
derdotationen. Als die staatlichen Zuwendungen im Zuge drastischer Einsparungs-
maßnahmen ab 1931 eingestellt wurden, galt das Institut auch bei der mächtigen
US-Stiftung nicht länger als förderwürdig.141 Rockefeller-Geld, das der Atomzertrüm-
merungsforschung zugute kommen sollte, floss seither nicht mehr an das Institut für
Radiumforschung, sondern an die Physikalischen Institute der Universität Wien. Die
Kernforschungsgruppe um Pettersson, Stetter und Kirsch erhielt also durchaus weiter
Geld aus den USA, doch das Institut für Radiumforschung profitierte als Institution
nur noch indirekt davon.142
1932 verabschiedete der Stiftungsrat der Rockefeller Foundation, wie das IEB nun
genannt wurde, nach längerer Vorbereitung neue Förderrichtlinien und änderte zu-
gleich die Kriterien, nach denen Projekte künftig ausgewählt wurden.143 Die neuen
Statuten unterschieden sich in mehrfacher Hinsicht von der Förderstrategie, die Wick-
liffe Rose und Augustus Trowbridge in den 1920er Jahren für das IEB entwickelt hat-
ten. So gab die Stiftung ihre inhaltliche Orientierung auf die Bereiche Physik, Chemie
und Mathematik auf. Seit 1932 floss über die Hälfte der gesamten Fördersumme für
die Naturwissenschaften in Projekte aus Biologie, Chemie und Psychologie. Physikali-
140 In diesem Sinne argumentiert beispielsweise Rentetzi 2007, Chapter VI, 1.
141 Vgl. RAC, RF, RG 12.1, Box 65, Folder 66–69 : Lauder W. Jones, Memorandums and Trips to Munich,
Vienna, Graz, Salzburg, Venice, Naples, Rome vom 17.5.1932.
142 So wurde eine Reihe von Geräten für die Kernforschung angeschafft, die auch von anderen Gruppen am
Institut genutzt wurden.
143 Vgl. RAC, RF, RG 3, Series 915, Box 1, Folder 6 : Natural Sciences. Program and Policy. Past program
and proposed future program vom 11.4.1933.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369