Seite - 212 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung in Österreich,
1932–1938212
Radiologischen Abteilung des Lainzer Krankenhauses zusammen, und sie kooperierten
auch mit dem Vivarium.150 Den Statuten des Instituts zufolge bestand grundsätzlich
sogar die Option,
»nach vollendeter Erreichung […] der Erforschung der physikalischen Eigenschaften des
Radiums […], oder im Falle der Unmöglichkeit oder Entbehrlichkeit der weiteren Fortset-
zung der physikalischen Radiumforschung […] das Institutsgebäude und die beigestellten
Mittel für einen anderen wissenschaftlich wichtigen Zweck zu verwenden.«151
Die Umwidmung sollte dem Willen des Stifters Karl Kupelwieser zufolge mit dem
Bundesministerium für Unterricht abgestimmt werden. Allerdings hatten am Institut
für Radiumforschung traditionell Physiker das Sagen, so dass ein solch radikaler Bruch
mit den bisherigen Tätigkeiten zu keiner Zeit in Erwägung gezogen wurde. Die Denk-
weise der meisten Wiener Kernforscher und -forscherinnen richtete sich an institutio-
nalisierten Disziplinengrenzen aus. Es ist bezeichnend, dass Georg Stetter den Einsatz
großtechnischer Geräte in der Kernphysik vornehmlich als »technisches« Problem an-
sah, und weniger als eine Möglichkeit zur verstärkten interdisziplinären Kooperation
mit anderen Wiener naturwissenschaftlichen oder gar medizinischen Instituten.152
Auch Berta Karlik sah in dem Projekt, in Wien einen Teilchenbeschleuniger zu bauen,
in erster Linie die drohende Konkurrenz mit Hermann Mark, der seit 1932 in Wien
Direktor des I. Chemischen Laboratoriums und Professor für physikalische Chemie
war.153
Mitte der 1930er Jahre, just zu dem Zeitpunkt als die Satzungsänderung der Rocke-
feller Foundation wirksam wurde, unternahm eine Gruppe von Naturwissenschaftlern
und Ärzten aus Wien den Versuch, die interdisziplinäre Forschung von Balneologen,
Biologen, Geologen, Chemikern und Physikern zu bündeln und außerhalb des Insti-
150 Vgl. Meyer 1950, 19. Siehe zu Kooperationen mit den Wiener Krankenhäusern und dem Vivarium
Rentetzi 2007, Chapter VI, 15–23.
151 Almanach 1911, 215.
152 GUB, Hans Pettersson : Karlik an Pettersson vom 6.11.1937. Niels Bohr, dem mit Georg von Hevesy
ein erfahrener Radiochemiker zur Seite stand, nutzte das Argument der Interdisziplinarität, um von der
Rockefeller Foundation und dänischen Geldgebern umfangreiche Förderungen zu erhalten. Vgl. Aase-
rud 1990, 183.
153 Zur Interdisziplinarität von Marks Wiener Schule der Hochpolymerforschung vgl. Feichtinger. Die Kor-
respondenz um die Bestellung von Marks einstigem Assistenten Engelbert Broda zum Lehrbeauftragten
für Radiochemie nach 1945 gibt einen Hinweis, dass die Radiochemie an der Universität Wien vor dem
Zweiten Weltkrieg in Lehre und Forschung einen eher untergeordneten Stellenwert hatte. Vgl. UAW,
PA Engelbert Broda, PH PA 1126, Kiste 45, Bl. 294 : Ebert an Bundesministerium für Unterricht vom
18.5.1949.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369