Seite - 216 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Bild der Seite - 216 -
Text der Seite - 216 -
Kernforschung in Österreich,
1932–1938216
sor, dem IEB beziehungsweise der Rockefeller Foundation hoch im Kurs stand. Als die
Stiftung ihr Programm änderte, fehlte sowohl in Wien als auch in Innsbruck eine
Persönlichkeit, die eine inhaltliche Anpassung der Forschungsrichtung an die verän-
derte Situation vorangetrieben hätte. An ausländischen Geldgebern blieben schließlich
nur noch deutsche Stiftungen übrig ; doch wurden die erst in den späten 1920er Jahren
aufblühenden Kontakte bereits durch politische Veränderungen überschattet.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Deutschen Reich im Januar 1933
hatte eine schwerwiegende Zäsur im deutsch-österreichischen Wissenschaftsaustausch
zur Folge. Sie setzte der kulturpolitischen Angleichungspolitik, die Ende der 1920er
Jahre unter sozialdemokratischer Ägide begonnen hatte, ein vorläufiges Ende.166 Die
DFG als Nachfolgerin der Notgemeinschaft und ihre speziell in Österreich aktive Un-
terorganisation ÖDW waren nach dem Rückzug der Rockefeller Foundation die ein-
zigen ausländischen Stiftungen in Österreich, die sich weiterhin in der Förderung der
Kernforschung engagierten. Nach dem Regierungsantritt Adolf Hitlers und im Zuge
der Machtübernahme durch die NSDAP kam es bei der DFG zu einem Führungs-
wechsel. Auch die bisherige Führungsriege der ÖDW wurde aus ihren Ämtern ge-
drängt.167 Die Zahlungen der ÖDW nach Österreich wurden vorübergehend unter-
brochen, da die auswärtigen Beziehungen des Deutschen Reiches zu Österreich auf Eis
gelegt wurden.168 In der Folgezeit fand in verschiedenen deutschen Ministerien eine
kontroverse Diskussion darüber statt, ob an der Förderung der Wissenschaften in Ös-
terreich durch die ÖDW festzuhalten sei.169 Nach dem Putschversuch der österreichi-
schen Nationalsozialisten im Juli 1934 ging die deutsche Regierung daran, die Vater-
ländische Front als einzig verbliebene politische Massenorganisation in Österreich,
durch Vertrauensleute zu unterwandern. Die Strategie zielte darauf ab, Österreich
kultur- und wissenschaftspolitisch im Sinne des Deutschen Reiches zu beeinflussen.170
Dementsprechend einigte sich die neue Führungsspitze der DFG mit dem deutschen
Auswärtigen Amt schließlich darauf, am »leitenden Grundsatz, keinerlei kulturelle
Fäden zu unseren Stammesbrüdern jenseits der Grenze abreißen zu lassen« festzuhalten
und insbesondere die bereits laufenden Projekte, darunter auch die Wiener Kernfor-
166 Vgl. Suval 1974, 106.
167 Vgl. Mertens 2004, 293.
168 Vgl. AÖAW, Wissenschaftshilfe, Karton 1, Mappe : A-G [Allgemeines], Schmidt-Ott an Durig
vom 20.7.1933, und AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 283 : Meyer an Pettersson vom
26.4.1933.
169 Anfangs sah es so aus, als würde die ÖDW Projekte nur noch von Fall zu Fall fördern. Vgl. AÖAW, Wis-
senschaftshilfe, Karton 1, Mappe : A-G [Allgemeines] : Schmidt-Ott an Redlich vom 11.8.1933.
170 Vgl. Fahlbusch 1999, 249–250.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369