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Das Zentrum verliert den Anschluss 219
schen Physikertages der DPG präsentieren wollten.179 Die DPG stand als eine der
traditionsreichsten wissenschaftlichen Gesellschaften des Reiches zu jener Zeit auf dem
Höhepunkt ihres Wirkens. Sie verfügte mit mehr als 1.300 Mitgliedern nicht nur auf
nationaler Ebene über bedeutenden Einfluss, sondern war auch international hoch
renommiert. Die jährlich im Herbst abgehaltene Tagung der Gesellschaft sollte 1933
in Salzburg stattfinden. Als Vertreter des Gauvereins Österreich nutzte Meyer seine
langjährigen Kontakte, um beim Geschäftsführer der DPG, Karl Scheel, im Vorfeld
der Sitzung des DPG-Vorstandes in Berlin schriftlich für die Sache der Wiener Atom-
zertrümmerer zu werben :
»[Obwohl] die Organisation […] ja zweifellos am besten in bewährter Weise von Berlin aus
erfolgen [wird], […] würden wir uns sehr freuen, wenn unter den Hauptthemen diesmal
solche wären, für die bei uns besonderes Interesse und starke Mitarbeit vorhanden ist. Wir
dachten dabei insbesondere an die ›Atomzertrümmerung mit spezieller Berücksichtigung der
Neutronen‹«.180
Tatsächlich bestimmte der Berliner DPG-Vorstand die »Atomzertrümmerung ein-
schließlich astrophysikalischer Fragen« unter der Leitung von Kirsch und Hess zu ei-
nem der drei Hauptthemen der Tagung.181 Die politischen Rahmenbedingungen
sollten diese Pläne allerdings durchkreuzen. Im Mai 1933 verhängte die deutsche Re-
gierung nach dem Abbruch der Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern Öster-
reichs und führenden deutschen Nationalsozialisten die sogenannte Tausend-Mark-
Sperre : Reisende aus dem Deutschen Reich, die nach Österreich einreisen wollten,
mussten beim Grenzübertritt eine Gebühr von 1.000 Reichsmark zahlen.182 Die
Sanktion, die eigentlich darauf abzielte, die vom Tourismus geprägte österreichische
Wirtschaft zu schädigen, hatte in mehrfacher Hinsicht negative Folgen. Denn der Vor-
stand der DPG beschloss, die Jahrestagung von Salzburg nach Würzburg zu verle-
gen.183 Meyers Vorschlag, stattdessen den Tagungstermin zu verschieben, und seine
Warnung, dass eine »ÖRTLICHE [Verlegung] […] hier als Vermehrung der Zahl der
unfreundlichen Akte gegen Österreich empfunden werden müsse«, wurden in Berlin
179 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 307 : Schweidler an Meyer vom 20.9.1932. Siehe
zu Meyers Bitte, die Tagung trotz politischer Schwierigkeiten auf jeden Fall in Österreich stattfinden zu
lassen, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 169 : Meyer an Laue vom 1.6.1933.
180 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 169 : Meyer an Scheel, undatiert [Februar 1933].
181 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 169 : Protokoll der Sitzung des Vorstandes der Deut-
schen Physikalischen Gesellschaft am 2. März 1933.
182 Siehe auch Otruba 1983.
183 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 169 : Laue an Vorstand der DPG vom 31.5.1933.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369