Seite - 222 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung in Österreich,
1932–1938222
Vorerst kam es weder zu Austritten einzelner Mitglieder noch zu einem kollektiven
Rücktritt des Gauvereins Wien.194 Auch Hess’ Vorschlag, in Österreich eine Gegenor-
ganisation zur deutschen DPG zu gründen, kam nicht zum Tragen. Dies mag auch
daran gelegen haben, dass nicht Stark, sondern der Industriephysiker und Direktor der
Osram AG, Karl Mey, mit überwältigender Mehrheit zum Vorsitzenden der DPG ge-
wählt wurde. In den nächsten Jahren wurde die Gesellschaft, die eine Teilautonomie
bewahren konnte, durch die nationalsozialistische Regierung wissenschaftspolitisch ins
Abseits gedrängt.195
Die Reisebeschränkungen führten dazu, dass in Österreich arbeitende Physiker und
Physikerinnen ihre Aktivitäten zunehmend auf den Gauverein Österreich konzentrier-
ten. Dessen Vertreter nahmen bis 1936 an keiner Jahrestagung der DPG teil. Nachdem
die Tausend-Mark-Sperre im Zuge der politischen Annäherung Österreichs an das
Deutsche Reich 1936 aufgehoben worden war, wurde es prinzipiell wieder möglich,
die Jahrestagung der DPG in Österreich stattfinden zu lassen. Doch auch der 1937 in
Salzburg geplante Physikertag wurde aus Devisenmangel nach Bad Kreuznach ver-
legt.196 Unter den Teilnehmern war Josef Mattauch der einzige Vortragende aus Öster-
reich.197 Nachdem die Devisenbestimmungen 1936 gelockert worden waren, konnten
Physiker und Physikerinnen aus dem Deutschen Reich wieder privat in das Nachbar-
land reisen.198 Mitarbeiter aus Walther Bothes Heidelberger Institut nutzten mehrmals
die Gelegenheit, in Wien vorzutragen. Doch auch aus anderen Ländern mehrte sich
die Zahl derer, die in Wien Gastvorträge hielten. Im Februar 1937 präsentierte bei-
spielsweise Hans von Halban seine Pariser kernphysikalischen Arbeiten, die er gemein-
sam mit Peter Preiswerk in Frédéric Joliots Labor durchführte.199
Hatten Physiker aus Österreich in den 1920er und frühen 1930er Jahren zumindest
auf dem Papier einflussreiche Positionen in der DPG besetzt, so wurden sie, ausgelöst
durch das gespannte politische Verhältnis zwischen den Nachbarländern Deutschland
und Österreich und die internen Querelen der Gesellschaft, in der deutschsprachigen
Physikerschaft ab 1933 zunehmend marginalisiert. Damit schwanden aber auch die
Möglichkeiten, ihren Kollegen und Kolleginnen neue kernphysikalische Forschungser-
194 Zu einer Welle von Austritten kam es erst 1938, als rund 30 österreichische Mitglieder die DPG verlie-
ßen. Vgl. Wolff 2007, 113.
195 Vgl. Eckert 2007, 151 ; Forman 2007, 54. Johannes Stark scheiterte auch deshalb, weil er die PTR zum
zentralen Kontrollorgan des deutschen physikalischen Schrifttums ausbauen wollte. Vgl. Bortfeld 1987,
107.
196 Vgl. Wolff 2007, 101.
197 DPG 1937, H. 3, 102.
198 Vgl. CAC, MTNR 5/13/2 : Paneth an Meitner vom 18.7.1936.
199 DPG 1937, H. 1, 28–29.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369