Seite - 224 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung in Österreich,
1932–1938224
sen kaum noch entlohnt werden.205 Schließlich waren auch die Chancen, auf eine der
wenigen frei werdenden Lehrkanzeln berufen zu werden, für die dritte Generation der
Exner-Schüler außerordentlich gering. Da das Bundesministerium die vakanten Stellen
nach dem Senioritätsprinzip besetzte, rückte im Zweifel lediglich ein Exner-Schüler
der zweiten Generation nach, wenn ein älterer Ordinarius pensioniert wurde oder
verstarb.206 Die Berufungspraxis war keineswegs auf die Physik beschränkt, auch in der
Chemie war die »übliche oesterr[eichische] Vetternwirtschaft und ein Vorrücken, wie
bei Postbeamten« gang und gäbe.207
Deutschsprachige Universitäten und Hochschulen in den Nachbarländern Öster-
reichs hatten in den 1920er Jahren einen Ausweg geboten, um der beruflichen Perspek-
tivlosigkeit an den österreichischen Universitäten zu entkommen. Vor allem junge jü-
dische Physiker und Physikerinnen, die in Wien keine Aussichten auf eine akademi-
sche Karriere hatten, wagten den Schritt über die Grenze.208 Ganz oben auf der Liste
ausländischer Institutionen standen die Hochschulen im Deutschen Reich, doch auch
in der Schweiz sowie die deutschsprachigen Universitäten in Riga und Danzig. Aller-
dings gab es auch dort eine scharfe Konkurrenz um wenige, schlecht bezahlte Stellen.
Die ohnehin geringen Aussichten für Privatdozenten aus Österreich, im Deutschen
Reich eine bezahlte Anstellung zu finden oder gar eine Professur zu erhalten, ver-
schlechterte sich noch, als die kulturpolitischen Beziehungen beider Länder in den
frühen 1930er Jahren vorübergehend auf Eis gelegt wurden.
In Österreich begann man angesichts der Misere des akademischen Nachwuchses,
sich auf die Verbindungen aus der Zeit der Monarchie zu besinnen. Dies galt insbeson-
dere für die deutschsprachigen Universitäten und Technischen Hochschulen in der
Tschechoslowakei, namentlich in Prag und Brünn, die über das Kriegsende 1918 hin-
aus eng in das österreichische Berufungssystem eingebunden waren. Im Frühjahr 1936
stellte eine Kommission der Philosophischen Fakultät der Universität Wien gegenüber
dem Bundesministerium für Unterricht fest :
»Es ist eine Nachwirkung der österreichischen Vergangenheit, dass die deutsch-tschechoslo-
wakischen Hochschulen relativ häufig österreichische Anwärter auf Listen von Besetzungs-
vorschlägen setzen und es ist für Jeden, der die Verhältnisse in der Tschechoslowakei annä-
hernd kennt, eine leicht zu beobachtende Tatsache, dass die tschechoslowakische Unter-
205 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 18, Fiche 289 : Przibram an Meyer vom 21.9.1937.
206 In einem Brief an seinen Freund und Kollegen Fritz Kohlrausch beschrieb Meyer, wie der ewige Ring-
tausch des Exner-Kreises funktionierte, in dem ein Mitglied dem nächsten auf eine frei werdende Stelle
folgte. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 15, Fiche 239 : Meyer an Kohlrausch vom 24.1.1938.
207 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 222 : Hönigschmid an Meyer vom 11.12.1930.
208 Vgl. Reiter 2001b, 6.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369